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■ Zur gegenseitigen Anerkennung Israels und der PLODas Ende des Ghettos

Keinen Jubel, keinen spontanen Beifall, kein erleichtertes Auflachen gab es gestern in Jerusalem, als der israelische Ministerpräsident Jitzhak Rabin seine Unterschrift unter das Dokument setzte, mit dem sich die Regierung des jüdischen Staates und die Palästinensische Befreiungsorganisation PLO gegenseitig anerkannten. Statt dessen: Totenstille, ernste Mienen, nicht nur auf dem Podium, sondern auch im Saal unter den anwesenden Gästen und Journalisten. „Es ist nur ein Anfang, aber ein Anfang von immenser Bedeutung“, kommentierte Außenminister Schimon Peres das Geschehen, so, als ob schon ein Zuviel an Emphase den zerbrechlichen Versuch, zwei Völker miteinander auszusöhnen, bedrohen könnte.

Überraschend ist diese Verhaltenheit nur auf den ersten Blick. Historische Einschnitte bringen Risiken mit sich, und dessen sind sich beide Seiten nur zu bewußt. Der Nahe Osten war über Jahrzehnte hinweg geprägt von Tod, Zerstörung, Leid und Haß; vom Kampf um die eigene Existenz, das Überleben, auf der einen Seite und von der Auflehnung gegen tiefempfundenes Unrecht, Schmach und Verletzung der Würde auf der anderen. Aus jüdischer Sicht beschrieb dies Elie Wiesel in seinem Roman „Der Bettler von Jerusalem“, der zur Zeit des Juni-Krieges von 1967 spielt, mit den Worten: „Für Israel ging es nicht um Ehre und Demütigung, sondern um Leben und Tod.“ Und, knapp auf den Punkt gebracht: „Israel ist das Ghetto.“

Seit seiner Gründung im Jahre 1948 hat sich der jüdische Staat im Grunde immer als Ghetto, als Fremdkörper in der Region empfunden, der von Millionen von Arabern bedroht wurde; umgekehrt wurde er auch von außen als solcher wahrgenommen. Mit dieser Wahrnehmung von sich und den anderen, zu denen auch liebgewordene Feindbilder und Mythen gehören, sind Generationen junger Menschen auf beiden Seiten aufgewachsen und haben, oft genug, ihr Leben dafür gelassen. Lange genug wurde durch diese Fremd- und Selbstwahrnehmung der Einstieg in eine realistische Politik der Veränderung blockiert. Insofern handelt es sich bei der gegenseitigen Anerkennung zwischen Israel und der PLO nicht um irgendeinen, zwar wichtigen Schritt auf der Ebene der offiziellen Diplomatie, sondern um einen tiefen Einschnitt, der das Leben jeder Familie, jedes einzelnen berührt. Kein Wunder, daß die neue Politik und das neue Denken in Westjerusalem und Tunis auf beiden Seiten, in beiden Gesellschaften, so sehr umstritten ist.

Wenn der Frieden – jenseits der noch völlig offenen Frage einer endgültigen politischen Lösung – eine Chance hat, dann nur, wenn ein Prozeß eingeleitet werden kann, der letztlich den Abschied vom Bild des Ghettos und des Fremdkörpers einschließt. Es war wiederum Schimon Peres, der dies umriß, als er von einer historischen Bedeutung für die Beziehungen „zwischen der jüdischen und der arabischen Welt“ sprach. Die Öffnung der Grenzen, die Möglichkeit, zu reisen, Handel zu treiben, ja überhaupt erst einmal Straßen (!) zu bauen, die Tel Aviv, Haifa und Jerusalem mit Kairo, Beirut, Damaskus und Amman verbinden, all dies sind Voraussetzungen dafür, daß die Menschen in der Region nach Jahrzehnten des Kriegszustandes miteinander in Kontakt treten, ihre unterschiedlichen Kulturen kennen- und schätzenlernen können. Der ehemalige ägyptische Präsident Anwar el-Sadat hat einmal gesagt, daß es ein schöner, aber unrealistischer Traum sei, sich vorzustellen, daß Golda Meir zum Einkaufen nach Kairo fahre. Dies ist die Richtung, in der heute gedacht werden muß.

Es gibt viele Gründe, warum das Camp-David-Abkommen von 1979, das Sadat das Leben kostete, nur ein Separatfrieden zwischen Ägypten und Israel blieb und den Weg in diese Richtung nicht eröffnete. Dazu zählt die Weigerung der damaligen israelischen Regierung, über einen Rückzug aus den besetzten Gebieten zu verhandeln, ebenso wie die Politik der US- Administration, die sich mit der Unterzeichung des Abkommens zufriedengab und nicht den langen Atem hatte, der notwendig gewesen wäre, um den Separatfrieden in einen regionalen Friedensprozeß zu verwandeln. Insofern sollte heute allen Beteiligten das Scheitern des Camp-David-Abkommens als ein warnendes Beispiel vor Augen stehen.

Die gegenseitige Anerkennung und die Einigung über eine israelisch-palästinensische Grundsatzerklärung sind in der Tat nur der Anfang eines langen Prozesses, an dessen Ende ein wirklicher Frieden stehen könnte. Ein solcher Frieden weist über Verträge und offene Grenzen noch viel weiter hinaus, als es heute scheinen mag, denn er muß schließlich auch in die Öffnung der unterschiedlichen politischen Systeme und Gesellschaften nach innen münden. Ein Staat, in dem es keinerlei politische Freiheiten gibt, in dem Menschen verschwinden oder hingerichtet werden, kann nicht friedlich genannt werden. Frieden ist unteilbar. Und zu einem wirklichen Leben in Frieden gehört auch, daß der einzelne ein akzeptables Auskommen für sich und seine Familie hat.

Es gibt also keinen Grund, jetzt aufzuatmen, sich zurückzulehnen und das Weitere dem Gang der Geschichte zu überlassen. Im Gegenteil, wenn sich die Erfahrung von Camp David nicht wiederholen soll – und die Folgen sind bekannt –, steht nun eine neue Runde von Verhandlungen, Vermittlungen, auch von äußerem Druck an, bei denen noch wesentlich mehr auf dem Spiel stehen wird als die jetzige Anerkennung oder das Gaza-Jericho-Abkommen. In regionaler Hinsicht stehen und fallen die Chancen für einen Frieden mit einer israelisch-syrischen Übereinkunft. Ohne Syrien, das zudem radikale arabische, auch palästinensische, Gruppierungen unterstützt, wird es keine Öffnung, keine dauerhafte Regelung geben. Hinsichtlich der besetzten Gebiete muß Israel jetzt zeigen, daß es, anders als 1979, ernsthaft bereit ist, mit den Palästinensern über eine tragfähige Lösung zu verhandeln. Der richtige Weg dafür wurde mit der Nahost-Friedenskonferenz von Madrid im Herbst 1991 eingeschlagen. Die Politiker, die für diesen Weg stehen, können sich jetzt nicht mehr aus der Verantwortung stehlen. Es ist ihre historische Aufgabe, den Prozeß, der in Madrid begonnen hat und der mit der wechselseitigen Anerkennung Israels und der PLO zu einem ersten Durchbruch führte, zu Ende zu führen. Vielleicht werden wir dann doch noch erleben, wie die Menschen auf den Straßen in Jerusalem und in Damaskus jubeln und sich in die Arme fallen. Beate Seel

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