piwik no script img

Zur VorschauLeicht wie die Flocke Eigelb

■ J. Fauser-Lesung im Rahmen einer Krimi-Reihe im Jungen Theater

Natürlich mußte ein zerstreuter, weltverachtender Rolf-Dieter Brinkmann bei einem Unwetter von einem Ast schnöde erschlagen werden. Ebenso natürlich mußte Krimiautor Jörg Fauser 1987 im Münchner Morgengrauen alkoholbenebelt von einem Auto überfahren werden. Da hatte seine Leber immerhin schon stattliche 43 Lebensjahre durchgehalten. Der Tod als natürliche Weiterführung des Lebens.

Spätestens seit der Verfilmung des Koksdealer-Krimis „Der Schneemann“ (1984) mit Marius Müller-Westernhagen unter der Regie von Peter Bringmann wurde Fauser als der „deutsche Bukowski“ gehandelt; alternativ dazu als deutscher Kerouac oder Burroughs: ein verspäteter Beatnik, on the road zwischen Berliner Kommune, Frankfurt, München, Istanbul, Griechenland, England, zwischen Jobs als Krankenpfleger, Flughafengepäckträger und Nachtwächter. Die Cut-up-Methode Burroughs harmonierte schließlich auch bestens mit Fausers fragmentarisierten Wahrnehmung als Morphinist, die er im ersten Roman „Tophane“ (der Name des Junkieviertels von Istanbul) in zerrrupft-delirante Form goß.

Der Kosmos von Fausers Erzählungen, Gedichten und Romanen ist schnell kartographiert: Der zehrende Hunger, nachts um drei Uhr in Frankfurts Leipziger Straße; Raben im Nordfriedhof; das Gegentor in der 88. Minute; das sehnsüchtige Warten auf das Öffnen des Stehaussschanks „Schmales Handtuch“ frühmorgens um 6 Uhr; die drei Wochen alte Galopprennzeitung; der schale Geschmack des Biers bei der geliebten Frittenbude; der mißglückte nächtliche Supermarkteinbruch eines Hungrigen; Magendurchbruch, Janis Joplin, das Modern Jazz Quartet, Spielautomaten unter „dem grauen Fetzen Mond“; und immer wieder die „Suche nach der Frau fürs Leben“, die sich dann beim morgendlichen Erwachen gänzlich unerwartet als grauharige Vettel herausstellt. Eben die ganz normale „Scheiße, die jeden Tag neu breitgetreten werden muß“. Und auf der Kippe zwischen Langeweile, Niedertracht und dem Hangover vom letzen Abend ist das Leben für Sekundenbruchteile „leicht wie eine Flocke Eigelb“.

In einem frühen Brief an Vater Arthur (ein realistischer Maler, der schon mit 22 Jahren die Ehre hatte, von den Nazis mit Berufsverbot abgestraft zu werden, in der Schweizer im Widerstand arbeitete, abgeschoben wurde, hungerte, fünf Jahre an der Front litt und nach dem Krieg als Unzeitgemäßer ignoriert wurde) beschwört Fauser inständig sich selbst, Mißerfolg und Ignoranz der Verlage zu ignorieren – und träumt vom künftigen, unvermeidlichen Durchbruch. Lange genießen konnte er den gehaßliebten Erfolg nicht. bk

Empfehlenswert: „Fauser-O-Ton“ (2 CDs, 1998, bei Trikont, ca. 50 Mark)

Latenightprogramm: 13.11., Jörg-Fauser-Lesung, anschließend der Film „Der Schneemann“, 14.11.: „Cabinett des Dr. Caligarie“ mit Live-Musik

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen