Zur Vierschanzentournee: Konsequent in den Kernkompetenzen
Gerade rechtzeitig zur Vierschanzentournee sind die deutschen Skispringer so gut wie lange nicht mehr und bedrohen nun sogar die Vormachtstellung der Österreicher.
Seinen Traumjob hat Werner Schuster vor genau viereinhalb Jahren angetreten. Im Frühjahr 2008 begann der Österreicher mit der Arbeit als Bundestrainer der deutschen Skispringer. Diese Aufgabe war nicht immer einfach, vor allem war sie nicht immer freudvoll. Doch spätestens in dieser Saison hat sich auch das gewaltig gewandelt.
„Ich hatte riesig Spaß, meine Springer abzuwinken“, sagte Schuster nach den bisherigen zahlreichen Wettkämpfen des Winters, an denen er am Rande der Schanzen bei den anderen Trainer stand und per Flaggenzeichen seine Schützlinge über den Bakken schickte.
Der erstaunliche Aufwärtstrend der deutschen Skispringer ist mit Zahlen zu belegen: Zweimal hat Severin Freund ein Springen als Sieger beendet. Lange trug der Athlet aus Rastbüchl im Bayrischen Wald das Gelbe Trikot des Führenden im Weltcup.
Dazu kam Andreas Wellinger. Der 17-jährige Ruhpoldinger ist der Shootingstar dieser Saison. Zuletzt wurde er Zweiter in Engelberg. Ebenfalls noch in den Top Ten der Weltcup-Gesamtwertung: Richard Freitag (Aue). Oldie Michael Neumaier und der 19-jährige Carl Geiger ergänzen diese erfolgreiche Truppe.
Erfolgsrezept aus Österreich
Mit dem ersten Springen auf der Schattenbergschanze in Oberstdorf beginnt am 30.12. die 61. Vierschanzentournee (16 Uhr, ZDF). Es folgt das Neujahrsspringen am 1. Januar in Garmisch-Partenkirchen, bevor es in Österreich in Innsbruck (4. 1.) und Bischofshofen (6. 1.) weitergeht.
In den letzten vier Jahren kamen die Gesamtsieger stets aus Österreich: Wolfgang Loitzl (2009), Andreas Kofler (2010), Thomas Morgenstern (2011) und Gregor Schlierenzauer (2012), der als aktueller Weltcup-Führender auch diesmal wieder der große Favorit auf den Gesamtsieg ist.
Martin Schmitt, lange Zeit das deutsche Skisprung-Aushängeschild und mittlerweile 34 Jahre alt, darf sich Hoffnungen machen, zum 17. Mal bei der Vierschanzentournee dabei zu sein. Weil der ehemalige Teeniestar am Donnerstag beim zweitklassigen Continentalcup in Engelberg auf den sechsten Platz kam, hat er gute Chancen, einen der drei letzten Startplätze zu ergattern, die Bundestrainer Werner Schuster noch vergeben darf für die deutschen Tourneestationen Oberstdorf und Garmisch-Partenkirchen.
Woher kommt die neue Stärke des deutschen Teams? Werner Schuster fühlt sich keineswegs als Magier. „Es ist harte Arbeit“, sagt der 43-Jährige. Der Trainer, der im Kleinen Walsertal aufgewachsen ist, hat von seinem Engagement beim Österreichischen Skiverband profitiert.
Was er als Nachwuchstrainer unter der Leitung des Cheftrainers Alexander Pointner mitgestaltet hat, hat er nun ins Nachbarland übertragen. „Wir haben uns auf vier Basiskompetenzen konzentriert“, erklärt Schuster. Dazu zählen die Athletik, die Technik, das Material und das Selbstverständnis der Mannschaft.
Kernpunkt Athletik: „Wir haben uns in drei Jahren permanent weiterentwickelt“, sagt Schuster. Mittlerweile hätten seine Springer durch intensives Training im Sommer eine Stufe der Belastbarkeit erreicht und dadurch eine Substanz aufgebaut, „die uns meines Erachtens auch durch den Winter helfen wird“.
Auf hohem Niveau
Dadurch fallen Formschwankungen nicht mehr so heftig aus. Severin Freund ist dafür das beste Beispiel. Selbst Alex Pointner lobt: „Der Severin springt mittlerweile sehr konstant auf einem sehr hohen Niveau.“
Kernpunkt Technik: Schuster hat eine einheitliche Technik eingeführt, vom Weltcupteam bis hinunter zum Nachwuchs in den Stützpunkten. Dies erreicht er auch durch gemeinsame Lehrgänge der verschiedenen Kader. Und so wird auch frühzeitig eine mangelhafte Sprungtechnik vermieden, die sich Talente über Jahre hinweg aneignen, die später aber nur wieder sehr mühsam korrigiert werden kann.
Kernpunkt Material: In Zusammenarbeit mit der Forschungs- und Entwicklungsstelle für Sport (FES) in Berlin bekommen die deutschen Springer immer das beste Material zur Verfügung gestellt. Sei dies bei den Anzügen. Sei dies bei der Einheit aus Schuh und Bindung.
Auf Augenhöhe
„Da haben wir die Fäden selbst in der Hand“, sagt Schuster stolz, „und haben uns definitiv auf eine Stufe gehoben, wo wir uns mit anderen Nationen mindestens auf Augenhöhe befinden. Teilweise haben wir uns sogar einen Vorsprung erarbeitet.“
Und nicht zuletzt stimmt die vielleicht entscheidende Kernkompetenz, das Selbstverständnis der Mannschaft: Schuster ist es gelungen, was seinen Vorgängern Wolfgang Steiert und Peter Rohwein nicht gelingen konnte. Als jemand, der von außerhalb in das System hereinkam, konnte er vor allem eins: einen.
Die verschiedenen Stützpunkte, die verschiedenen Landsmannschaften, die verschiedenen Springercharaktere, die verschiedenen Trainingsphilosophien. Heute ist die Mannschaft der Star. „Ich fühle mich nicht in der Rolle des Leithammels“, sagt Severin Freund. Und das Wissen, nicht mehr allein für den Erfolg verantwortlich zu sein, verleiht nicht nur ihm eine neue Stärke.
Erste Bewährungsprobe
Diese neue Stärke des deutschen Teams drückt sich vor der Vierschanzentournee, bei der es am Samstag Ernst wird mit der Qualifikation für das erste Springen am Sonntag in Oberstdorf, drückt sich auch in den Vorhersagen der Experten aus.
„Severin Freund ist für mich ein Kandidat für den Gesamtsieg“, sagt der viermalige Tourneesieger Jens Weißflog. Und Toni Innauer, Schöpfer des Systems in Österreich, von dem heute die Deutschen profitieren, hält von Richard Freitag große Stücke: „Wenn er in Oberstdorf und Garmisch gut durchkommt, dann traue ich ihm einiges zu.“
Sollte die eine oder andere Prognose eintreffen, hätte Werner Schuster wahrlich etwas geleistet in seinem Traumjob.
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