■ Zur Scheidung von Tschechei und Slowakei: Der Lack ist ab
Als der slowakische Nationalrat im Juli die „Souveränität der Slowakischen Republik“ erklärte, da heulte das konservative Prag entrüstet auf. Mit diesem Schritt hätte die Slowakei einseitig die tschechoslowakische Verfassung aufgekündigt. Jetzt müsse man ernsthaft prüfen, ob die Tschechische Republik von nun an nicht der „alleinige Nachfolgestaat“ der CSFR sei. Doch nur wenige Monate später scheinen diese verfassungsrechtlichen Positionen Schnee von gestern zu sein: Nachdem das tschechoslowakische Parlament sich nicht auf ein Gesetz über die Trennung der Föderation einigen konnte, verkündete der tschechische Nationalrat, daß er die „volle Verantwortung für die Belange der tschechischen Republik“ übernehme. Zwar ist dies noch keine Souveränitätserklärung, der Weg zu ihr ist jedoch vorgezeichnet.
Und so ist es für die „westliche Welt“ nun an der Zeit, mit einem seit Monaten auch von der Presse gepflegten Vorurteil aufzuräumen. Während die Slowakei bisher stets als Hort unbelehrbarer Nationalisten dargestellt wurde, galt die tschechische Republik mit ihren Aushängeschildern Vaclav Klaus und Vaclav Havel als das Paradebeispiel für Osteuropas Weg zu Demokratie und Marktwirtschaft. Doch ebenso wie in der Slowakei immer wieder Verstöße gegen die Pressefreiheit zu verzeichnen sind, so wird auch in der tschechischen Republik die Arbeit von Journalisten behindert. Wie in der Slowakei die Zugehörigkeit zur Regierungspartei HZDS Voraussetzung für die Übernahme wichtiger politischer Funktionen ist, so wird auch in Böhmen und Mähren immer häufiger nach dem Parteibuch gefragt. Die jetzige Entscheidung des tschechischen Parlamentes ist somit nur ein weiterer Beleg dafür, daß die tschechische Rechte lauthals verkündete demokratische Prinzipien für sich zurechtbiegt. Aus Angst vor einer Ablehnung der auch von ihr betriebenen Spaltung der CSFR lehnt sie ein Referendum ab, aus Angst vor Oppositions-Zuwächsen denkt sie nicht daran, ihrer zukünftigen Republik durch Neuwahlen eine demokratische Legitimation zu verschaffen.
Doch selbst die früheren Mitglieder der zum falschen Zeitpunkt aufgelösten Menschenrechtsbewegung „Charta 77“ – und mit ihnen Vaclav Havel – haben die Machenschaften der neuen Parteikader bisher nur sehr vorsichtig kritisiert. Mit dem Blick auf die eigene Karriere und aus Furcht, erneut ins politische Abseits zu geraten, haben sie sich statt dessen stets nur von der „Linken“ distanziert. Der in allen Staaten Mitteleuropas das politische Leben dominierende „Rechtstrend“ zeigt deshalb nun seine fatale Konsequenz: Eine starke Opposition gegen die rechten Machtgelüste existiert nicht.
Sabine Herre
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