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■ Zur Notwendigkeit einer breiten außenpolitischen DebatteAlle drücken sich

Wie soll einem Nichtdeutschen das seltsame Schauspiel um die Teilnahme der deutschen Bundeswehr an den Awacs-Flügen erklärt werden? Über die Verwirrung ist auch in dieser Zeitung schon genug gesagt worden. Auch über die Rolle des Verfassungsgerichts. Nicht jedoch über die Verantwortungslosigkeit gegenüber der Außenpolitik, die alle politischen Lager vereint. Nicht einmal die Richtlinienkompetenz des Kanzlers wird in Anspruch genommen. Der Außenminister ist auf Reisen. Die Sozialdemokraten präsentieren sich mit so vielen Tonlagen, daß eine Melodie beim besten Willen nicht zu erkennen ist. Und die Grünen beweisen durch ihr vom Länderrat verabschiedetes Papier, daß sie trotz aller außenpolitischen Diskussionen außer Bauch und Befindlichkeit nichts zu bieten haben. So schlittern Parlament, Regierung und Opposition auf einer Bahn, die nur, wäre sie bei vollem Bewußtsein eingeschlagen, ohne Sturz und Schrammen zu bewältigen ist.

Die Prämissen sind klar umrissen. Deutschland ist als Mitglied der Nato aufgefordert, zunächst an der Überwachung des Luftraumes über dem ehemaligen Jugoslawien teilzunehmen. Angesichts der politischen und militärischen Dynamik, die sich aus der Flugüberwachung entwickeln könnte, ist durchaus denkbar, daß die Bundeswehr in nächster Zukunft zu weit größerem militärischem Engagement aufgefordert wird. Wie um Himmels willen soll dann reagiert werden, wenn schon jetzt die Ohren taub und die Münder stumm geworden sind? Der Gang nach Karlsruhe ist und bleibt Ausdruck eines zutiefst defensiven, vor 1989 entwickelten Denkens in allen politischen Lagern. Daß deutsche Außenpolitik sich nicht mehr im Windschatten der jeweiligen Bündnispartner definieren kann, sondern im Rahmen des vorhandenen Bündnisses gestaltend wirken muß, dürfte sich doch eigentlich herumgesprochen haben!

In einer breiten außenpolitischen Debatte müßte es darum gehen, endlich eine ehrliche Bestandsaufnahme der außenpolitischen Situation zu wagen. Geht es doch um die Selbstdefinition Deutschlands in einer veränderten Welt. Und auch darum, in den internationalen Institutionen den deutschen Willensbildungsprozeß geltend zu machen. Tendenzen deutschnationaler Großmannssucht kann nicht mit Verweigerung, sondern nur mit offensiven Strategien begegnet werden. Gerade die Diskussion, wie Demokratie und Menschenrechte die Außenpolitik leiten sollten, böte SPD und auch Grünen Möglichkeiten der Profilierung. Ist es nicht ein ermutigendes Zeichen, daß gerade jene, die sich als Opfer des Krieges im ehemaligen Jugoslawien fühlen, eine aktivere Rolle Deutschlands buchstäblich ersehnen? Erich Rathfelder, Zagreb

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