Zumutungen gibt es allerlei, aber nicht in Venedig: Berlin ist nicht nett
Zumutung Anja Maier
Ich war in Venedig. Es war sehr schön. Also genau genommen noch ein ganz schönes bisschen mehr als nur schön. Eher so schön schön mit Sternchen.
Ich tuckerte mit dem Vaporetto von Ort zu Ort, flanierte hier, flanierte dort. Ich besichtigte Kunst. Ich betatschte in den Giardini Skulpturen, betrachtete in den Arsenale Videoinstallationen, schritt an allerlei Großformatigem entlang.
Nur einmal wurde ich traurig. Das war, als ich in einem wunderschönen Palazzo Fotos aus dem Irak betrachtete, die dort in den Sechzigerjahren aufgenommen worden waren. Im Nebenraum hingen aktuelle Kinderzeichnungen: neben Pokemon und Hello Kitty flogen Raketen wie Bohnen durch die Bilder, Menschen lagen in Blutlachen wie rote Handtücher. Es war bedrückend: Soviel Rückschritt, zu betrachten in diesem Palazzo, durch dessen bodentiefe Fenster das Glitzern des Canale Grande schimmerte.
Aber ich war ja im Urlaub. Also verfrachtete ich meinen Erste-Welt-Körper wieder in ein Vaporetto und sauste damit zur nächsten Animation. Mit meinen schön stabilen Euros tafelte ich Abend für Abend in unfassbar guten Restaurants. Ich gab gern Trinkgeld und unterhielt mich mit meinen Freunden über die Ironie des japanischen Biennale- Beitrags und über diesen Baum, der mitsamt seinem lehmigen Wurzelballen durch den französischen Pavillon wandelte. Ich kaufte mir kaschmirgefütterte Handschuhe. Es war eine schöne, schöne Welt, an deren Horizont, am Ende der Straßenflucht, immer mal wieder ein gigantisches Kreuzfahrtschiff auftauchte. Ein Monument des voll entfalteten Turbokapitalismus im Freizeitseg ment.
Das war es dann aber auch schon mit Zumutungen. Nicht einmal im öffentlichen Nahverkehr gab es Konflikte. Ältere, kunstvoll toupierte Damen wurden von Vaporetti-Angestellten sanft am Unterarm an Bord geleitet. Wenn man mal ein Boot verpasste, kam direkt ein anderes – ich nahm die neue Route. Sie war immer schön.
Schließlich, am achten Tag, stieg ich am Marco-Polo-Flughafen in eine Easyjet-Maschine. Hinter mir saß eine Bande italienischer Junggesellen, die unter großem Getöse in ihr Berlino-Wochenende starteten. Als ich mich, vom Lärm gestört, zu ihnen umdrehte und tadelnd schaute, nuschelte einer was von „Puttana“ und öffnete sein achtes Stella-Artois-Bier.
Es hätte an dieser Stelle endlich mal ein bisschen hässlich werden können. Aber der betrunkene Rüpel wurde von seinen Ragazzi gezwungen, sich zu erheben, sich neben meinem Sitz einzufinden und sich in aller Form bei mir zu entschuldigen.
Ich entschuldigte.
So war das mit Venedig. In Berlin angekommen, fiel erst mal die Bahn aus. Ein Verrückter sortierte auf dem Bahnsteig unter spitzen Schreien seine Flaschen. Als die nächste Bahn kam, schubste ein Mann wortlos eine junge Frau, weil sie irgendeine nur ihm bekannte Drängel-Regel nicht beachtet hatte.
Ich atmete tief durch. Berlin ist nicht nett. Nicht an einem Novembertag, an dem man aus dem Venedig-Flieger steigt. Zu Hause kochte ich mir Spaghetti puttanesca.
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