■ Zum zweiten Mal besetzte Greenpeace gestern eine ausgediente Öl-Bohrinsel bei den Shetlandinseln, die der Shell-Konzern in den Atlantik verklappen will...: Das Öl muß vom Wasser getrennt werden
Zum zweiten Mal besetzte Greenpeace gestern eine ausgediente Öl-Bohrinsel bei den Shetlandinseln, die der Shell-Konzern in den Atlantik verklappen will. Anlaß: Die heute in Dänemark beginnende Konferenz der Nordseeanrainerstaaten
Das Öl muß vom Wasser getrennt werden
Das Shell-Versorgungsschiff „Rembas“ versuchte, die Aktion mit Wasserkanonen zu verhindern – umsonst: Pünktlich zur Nordseekonferenz (siehe unteren Artikel) und trotz aller Vorsichtsmaßnahmen des Ölmultis hat Greenpeace die ausgediente Ölplattform Brent Spar in der Nacht zu gestern ein zweites Mal besetzt. Greenpeace protestiert damit gegen die Pläne des Shell-Konzerns, die Anlage, die 190 Kilometer nordöstlich der Shetlandinseln liegt, ins offene Meer zu schleppen und zu versenken. Die fünf Greenpeace-AktivistInnen entrollten auf der untersten Ringplattform der Brent Spar ein Transparent: „Save our Seas“.
Zuvor hatten rund ein Dutzend Greenpeace-Mitglieder den in Aberdeen liegenden Schlepper „Smit Singapore“ besetzt und sich an Ankerleinen und im Mast des riesigen Schiffes angekettet. Die „Smit Singapore“ der niederländischen Reederei Smit-Wirz gehört zu den Schiffen, die die Plattform zur Verklappung in den Atlantik schleppen sollen. Bei Redaktionsschluß waren zehn der Besetzer festgenommen worden, die beiden im Mast harrten noch aus.
Die beiden Aktionen folgen einer der spektakulärsten Besetzungen, die Greenpeace jemals durchgeführt hat. Für den Shell-Konzern völlig überraschend enterten am 30. April ein Dutzend Umweltschützer aus fünf europäischen Ländern die seit vier Jahren leerstehende Ölplattform Brent Spar und hielten sie bis zu ihrer Räumung 24 Tage lang besetzt. Die Plattform ist mit 130 Tonnen Giftmüll belastet. Im Februar hatte der britische Energieminister Tom Eggar dem Shell-Konzern die Genehmigung erteilt, die 14.500 Tonnen schwere Plattform einfach zu versenken, statt sie umweltgerecht an Land zu entsorgen.
Mit dem Protest zu Beginn der Umweltkonferenz der Nordseeanrainerstaaten erhält ein weitgehend unbekanntes Umweltproblem Aufmerksamkeit: Die Nordsee ist eines der größten Erdölförderungsgebiete der Erde. Schon ohne Unfälle gelangen riesige Mengen Öl, Chemikalien und Schwermetalle ins Meer. Außerdem versiegen die Ölquellen. In den nächsten zwanzig Jahren ist darum mit der Stillegung von über 400 Ölplattformen zu rechnen.
Umweltschützer fürchten, daß die Verklappung der Brent Spar Schule machen könnte. Völlig ungeklärt ist noch die Frage, was mit den 8.000 Kilometer Pipeline geschehen soll, die die Nordsee durchkreuzen. Mit Beginn der Ölförderung in der Nordsee war den Fischern versprochen worden, den Meeresboden wieder so herzurichten, wie er vorgefunden wurde. Dieses Versprechen und eine Reihe internationaler Abkommen werden vor allem von Großbritannien regelmäßig verletzt. Nicht umsonst wird das Vereinigte Königreich als „Dirty Man of Europe“ bezeichnet.
Je älter ein Ölfeld, desto größer die Verschmutzung
Simon Reddy, Autor einer Studie über die Gefahren des Versenkens ausgedienter Ölplattformen, hebt besonders die Risiken hervor, die in der täglichen Routine der Ölförderung liegen: „Je älter ein Ölfeld, um so mehr Wasser muß hineingepumpt werden, um den Druck in der Quelle aufrechtzuerhalten. Die Folge: Das Öl muß vom Wasser getrennt werden und gelangt als veröltes Abwasser ins Meer.“ Zwar existieren Grenzwerte, aber deren Einhaltung und Kontrolle bleibt der Ölindustrie überlassen. „Was uns fehlt, ist ein internationales Kontrollgremium“, sagt Reddy.
Ungewißheit auch bei den mit Öl und Schwermetallen kontaminierten Bohrschlämmen. Unterhalb der zu Amoco gehörenden Bohrplattform North West Hutton etwa befinden sich nach Angaben des Ölkonzerns 25.000 Kubikmeter Bohrschlämme. Amoco plant die Sprengung der Anlage, so daß sie oberhalb der Bohrschlämme ihre letzte Ruhestätte findet. Dieser Weg habe die geringsten Auswirkungen auf die Umwelt, so heißt es aus der Konzernzentrale.
Für Simon Reddy ist dieser Plan eine Katastrophe. „Die Trümmer der Plattform werden die Bohrschlämme aufwühlen, und das Giftcocktail entweicht in die Umgebung“, sagt er. Überhaupt wisse man nur sehr wenig über die Auswirkungen der Ölindustrie auf die Meeresumwelt, „es wird gar nicht erst geforscht, um ja nicht die falschen Ergebnisse zu erhalten.“
Unterdessen geht die Auseinandersetzung um die Brent Spar weiter. Die fünf Besetzer haben am Vormittag die Plattform wieder verlassen, da sich weiterhin Shell- Arbeiter an Bord befinden. Im Lerwicker Greenpeace-Büro ist man dennoch froh: „Unsere Aktion war ein voller Erfolg“, sagt Gijs Thieme, „wir rechnen allerdings jeden Augenblick mit der endgültigen Räumung der ,Smit Singapore‘ in Aberdeen. Danach kann alles sehr schnell gehen.“ Das Greenpeace-Versorgungsschiff „Moby Dick“ bleibt auf Stand-by in der Nordsee. Hans-Jürgen Marter, Shetland
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