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Zum Tag der PressefreiheitAcht Jahre Haft für ein Video

Nedim Türfent berichtete über den Machtmissbrauch von Staatsbeamten. In einem anderen Land bekäme er dafür einen Preis, in der Türkei acht Jahre Haft.

Nedim Türfent bei der Arbeit Foto: DİHA

Nedim Türfent ist Journalist, und zwar ein sehr guter. Wegen Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung wurde er zu 8 Jahren und 8 Monaten Haft verurteilt, derzeit sitzt der 28-Jährige in Van im Gefängnis.

Der Bericht, wegen dem er ins Gefängnis kam, ist eine Videoaufnahme vom August 2015. Darin ist eine Gruppe staatlicher Kräfte zu sehen, die etliche Zivilisten auf den Boden geworfen und ihnen die Hände gefesselt hat. Man hört Gebrüll, rassistische Beschimpfungen, Drohungen. Gegen Ende des Videos ist folgender Satz zu hören: „Ihr werdet schon sehen, wie mächtig die Türken sind!“

Nedim berichtete darüber, wie vom Staat eingesetzte und ermächtigte Personen ihr Amt missbrauchten, über ihren Hass gegenüber der Zivilbevölkerung und darüber, wie sie die Menschen misshandelten.

Wir erfuhren von dem Vorfall im südosttürkischen Yüksekova durch Nedims Berichterstattung. Auch der Staat scheint die Sache ernst genommen zu haben, denn als die Nachricht sich verbreitete, nahm er Ermittlungen gegen die Täter aus dem Video auf.

Fingierte Ermittlungen und falsche Zeugen

In der Folge wurde Nedim mehrfach bedroht. Er wurde an der Recherche und Berichterstattung gehindert und schließlich aufgrund von fingierten Ermittlungen verhaftet. Ein Bericht, der in normalen Zeiten in einem normalen Land mit einem Preis ausgezeichnet worden wäre, führte in der Türkei zur Verhaftung eines jungen Journalisten.

Bei seiner Festnahme wurde Nedim misshandelt, bedroht und beschimpft. Das sagte er vor Gericht mehrfach dem Richter, er wollte Anzeige erstatten. Doch die türkische Justiz überhörte wie stets die Klagen und leitete keinerlei Schritte ein.

Zeugen sagten vor Gericht gegen Nedim aus und behaupteten, er gehöre der verbotenen kurdischen Arbeiterpartei PKK an. Bei einer erneuten Vernehmung erklärten sie jedoch, Nedim gar nicht zu kennen. Ihre Aussagen gegen ihn seien unter Druck und Misshandlung zustande gekommen. Das Gericht aber zog für sein Urteil die früheren Zeugenaussagen heran und ignorierte die spätere Erklärung der Zeugen.

Nedim wurde nach seinem Medienbericht anhand fingierter Ermittlungen und einiger Postings zu einer hohen Haftstrafe verurteilt, obwohl die Zeugen vor dem Richter erklärten, sie hätten ihre Aussagen unter Druck gemacht.

Ein Besuch im Gefängnis

Nach Nedims Verurteilung besuchte ich ihn mit einem Anwaltskollegen letzte Woche im Gefängnis in Van, um ihm ein Solidaritätsschreiben von sechs Organisationen, die sich für Meinungsfreiheit einsetzen, zu überreichen. Er begegnete uns heiter und wirkte stark und gelassen. Er sagte, er lese englische Bücher, lerne Deutsch, schreibe Gedichte und Antworten auf die Briefe von Unterstützer*innen, die er erhalte.

Das ihm angetane Unrecht wischte er beiseite und betonte, die anderen gefangenen Journalist*innen in der Region bräuchten mehr Solidarität, vor allem die in Anatolien. Ihre Bedingungen seien viel schlimmer, sie hätten auch viel weniger Zugang zu internationaler Solidarität.

Nach Angaben des Vereins Media and Law Studies Association sind in der Türkei derzeit 181 Journalist*innen und Pressemitarbeiter*innen in Haft. Das entspricht beinahe der Anzahl inhaftierter Journalist*innen im gesamten Rest der Welt.

Türkische Politiker sagen zwar bei jeder Gelegenheit über inhaftierte Journalist*innen, diese seien keine Journalist*innen, sondern Terrorist*innen. Doch findet sich in den Anklageschriften gegen die große Mehrheit der gefangenen Journalist*innen kein einziger Beweis gegen sie außer ihrer Berichterstattung oder ihrer Postings in sozialen Medien.

Der Europäische Menschengerichtshof schaut zu

Politiker geben sich also alle Mühe, Journalist*innen zu kriminalisieren, doch was tut die Justiz dazu? Auch die Richter, die über Journalist*innen zu Gericht sitzen, tendieren stark dazu, Journalismus zu bestrafen, ohne Berücksichtigung von Verteidigungen und Einsprüchen die Prozesse rasch zu Ende zu bringen und möglichst hohe Strafen zu verhängen.

Wenn dieses Bestreben in diesem Tempo anhält, gibt es in der Türkei bald keine Journalist*innen in Untersuchungshaft mehr. Dann werden sie alle verurteilt sein und lebenslange oder jahrzehntelange Haftstrafen absitzen müssen. Ihre Freilassung rückt damit in noch weitere Ferne, die Haftzeiten werden noch länger.

In den Prozessen gegen Journalist*innen haben türkische Gerichte lange Haftstrafen verhängt, sei es im Prozess gegen die Altan-Brüder, gegen die Cumhuriyet-Mitarbeiter, gegen Nedim oder gegen die Kolumnisten Murat Aksoy und Atilla Taş.

Dahinter steckt das Bestreben, die Journalist*innen zu verurteilen, bevor eventuell ein Urteil vom Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) ergeht. Man will die EGMR-Urteile ins Leere laufen lassen. Denn bei den Klagen vor dem EGMR geht es darum, dass die Untersuchungshaft nicht rechtens ist. Mit der Verurteilung ändert sich aber der Rechtsstatus der Journalist*innen, sie sind nicht länger Untersuchungshäftlinge, sondern verurteilte Strafgefangene. Das würde bedeuten, sie müssten nach der Verurteilung erneut Klage erheben, was ihre Freilassung weiter hinauszögern würde.

Diese Woche ist die Woche der Pressefreiheit. In der Türkei sind 181 Journalist*innen im Gefängnis – einige in Untersuchungshaft, andere bereits verurteilt. Politiker kriminalisieren die Journalist*innen, parteiische Medien machen sie zur Zielscheibe, Gerichte verhängen Haftstrafen. Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte aber schaut nur zu.

Aus dem Türkischen von Sabine Adatepe

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