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Zum Schluss gibt’s die Geschichten, die ich nicht erzählteAm Rand am Ende

Foto: privat

AM RAND

Klaus Irler

Heute erscheint diese Kolumne zum letzten Mal. Das schreibe ich jetzt mal so hin, wissend, dass finale Aussagen nicht zeitgemäß sind. Aber es klingt so schön feierlich: Dies ist die 70. Kolumne ihrer Art und das wars. Ich höre auf mit der wöchentlichen Berichterstattung vom Rand, der in diesem Fall ein geographischer Rand war, nämlich Niendorf-Nord.

Niendorf-Nord, das weiß ich jetzt, ist wie St. Peter-Ording. Der Beat ist langsamer, das Durchschnittsalter höher, der Migrationshintergrund schmaler als im Rest der Welt. Dafür gibt es jeweils etwas Großes in nächster Nähe: St. Peter-Ording hat die Nordsee und Niendorf-Nord hat Hamburg. Das, was für St. Peter-Ording der Strand ist, ist für Niendorf-Nord die U-Bahn-Anbindung Richtung Innenstadt.

Niendorf-Nord ist ein durchritualisierter Flecken Erde und damit berechenbar. Das dachte ich jedenfalls, als ich anfing mit der Kolumne. Im Lauf der Zeit bildeten sich dann ein paar Besonderheiten heraus, ein paar Liebenswürdigkeiten und ein paar Spießigkeiten, mit denen nicht zu rechnen war. Manche davon habe ich aufgeschrieben, aus anderen aber ist kein Text geworden. Heute will ich sie mir nochmal anschauen, die Geschichten, die ich nicht geschrieben habe.

Ungeklärt bleibt zum Beispiel die Frage, wie es die ganzen steinernen Löwen in die Niendorfer Vorgärten geschafft haben. Vermutlich gab es die mal im Sonderangebot im hiesigen Baumarkt. Denn Sonderangebote gibt es oft am Rand: Die zwei Apotheken in Niendorf-Nord sind ungefähr 50 Meter Luftlinie voneinander entfernt und gewähren in einer längst erstarrten Preisschlacht beide 20 Prozent auf alles Mögliche. Und der Fischladen gibt 20 Prozent in jenen Stunden, in denen dienstags auf dem kleinen Markt neben der U-Bahnstation ein anderer Fischverkäufer seinen Anhänger-Laden aufmacht.

Man könnte die Sache mit den Sonderangeboten banal finden, wäre da nicht der Supermarkt, der Grabgestecke im Angebot hat. Varianten: Grabstrauß, Grableger, Grabschale. Doppelgesteck und Betonschiffchen. Aktionspreis 5,99 bis 11,99 Euro. Wer jetzt noch nicht tot ist, sollte sich mit dem Sterben beeilen.

Was ich auch nicht mehr schaffte, das ist, zur Quelle meines Mineralwassers vorzudringen. Mein Mineralwasser kommt aus Norderstedt, der Nachbargemeinde in Schleswig-Holstein. Ich trinke es seit Jahren und hätte gerne gesehen, wie es rein und klar aus einer Felsritze sprudelt, während im Hintergrund über satten Wiesen die Vögel zwitschern. Das hätte ich dann detailliert geschildert, wissend, dass die Leute aus der Innenstadt immer glänzende Augen bekommen, wenn man ihnen von den Weiden und Mooren am Stadtrand erzählt. Die gibt es hier tatsächlich. Sie befinden sich zwischen A7 und Flughafen-Landebahn.

Unbeschrieben bleiben ferner: Der Trinkertreff an der U-Bahn-Haltestelle, das Künstlerhaus Sootbörn, die alte Minigolfanlage und das Eigenheim von Suzi Quatro. Letztere ist für Niendorf das, was für St. Peter-Ording das Kite-Surfen ist: Die großen Zeiten sind vorbei, aber es gibt Leute, die immer noch gerne darüber reden. Apropos: Lokalpatrioten habe ich in Niendorf wenige getroffen. Hamburg sei Dank.

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