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■ Zum Schächt-Urteil des BVerfG in KarlsruheEin winziger Unterschied

betr.: „Ein Schritt in Richtung Schlachtbank“ u. a., taz vom 16. 1. 02, „Vorwärts ins Mittelalter“ (M. Kriener), taz vom 17. 1. 02

Ja, tätsächlich ein Schritt Richtung Schlachtbank – für unsere Demokratie. Genau besehen besagt das Urteil des Bundesverfassungsgerichts doch, dass religiöse Gesetze hier höher bewertet werden als weltliche, nach gesellschaftlicher Auseinandersetzung von unserer Legislative beschlossene Gesetze! […]

CLAUDIA FRANKE, Berlin

Umfragen sowohl in der Schweiz als auch in Deutschland haben ergeben, dass der überwiegende Teil der Bevölkerung gegen Schächten ist. In der Schweiz wurden Umfragen auch in den verschiedenen Berufsgruppen wie Tierärzten, Schlachtern, Bauern gemacht, in denen fast ausnahmslos das Schächten massiv abgelehnt wurde. Wo bleibt in der Demokratie der Respekt vor den ethnischen Empfindungen der Mehrheit der Bevölkerung gegenüber Mitgeschöpfen? […] ERNST W. HENRICH, Siegen

Schächten ist das Ausbluten des lebendigen, unbetäubten Tieres. Was soll ich in diesem Zusammenhang mit einem Koranzitat anfangen, das sich mit dem Ausbluten des auf verschiedenen Wegen umgekommenen toten Tiers beschäftigt? Soll das die Begründung sein, dass die Muslime schächten müssen? Dann bin ich dagegen. Mit welcher Bibelstelle begründen die Juden das Schächten, warum dürfen sie das tun und die Muslime nicht?

Was sagen Hirnforscher zum Thema? Gibt es Schockreaktionen, die die Schmerzwahrnehmung hemmen? Oder vielleicht auch muskuläre Vorgänge, Krämpfe, die das Ausbluten im Vergleich zum toten Tier sogar verschlechtern? […]

MANFRED GRÜNWALD

Worüber sich nun all die Tierschützer ereifern, ist ein Schlachtverfahren, das, richtig beherrscht, nach meiner Erfahrung ein Tier nicht mehr leiden lässt als das mit vorheriger Betäubung. Beim Schächten verliert das Tier durch den immensen Blutverlust etwa genauso schnell das Bewusstsein wie nach der Betäubung, wobei es in großen Betrieben oft vorkommt, dass die Betäubung unsachgemäß durchgeführt wird. Dazu kommt der Stress des Transportes und böse Rangkämpfe in der Enge einer Gruppe sich unbekannter Tiere, die nur das gewachsene Sozialgefüge ihrer Stallgefährten akzeptieren.

Der eigentliche Grund der Aufregung liegt meines Erachtens in der politischen Auseinandersetzung mit dem Islam. Dabei lässt sich die umstrittene Vorschrift aus dem Koran ganz logisch erklären – wegen des hohen Eiweißgehaltes des Blutes zersetzt es sich sehr schnell, zumal es zu Zeiten Mohammeds noch keine Kühlmöglichkeiten gab, sodass ein schlecht ausgeblutetes Schlachttier ein großes Gesundheitsrisiko barg.

Tierschutz ist in erster Linie die Verantwortung, die ein Tierhalter seinen Tieren gegenüber hat – nämlich ihnen das Leben tiergerecht zu gestalten! Bei Nutztieren gehört das Schlachten dazu, ohne quälende Transporte und Methoden, ob nun mit Betäubung oder geschächtet, ist ein winziger Unterschied. […]

GERBURG HEIMERL, Pähl

Darf dem „Recht“ auf menschliche Einbildungskraft Vorrang gegeben werden vor dem „Recht“ eines Lebewesens auf ein möglichst schmerzfreies Ende, wenn es denn schon für menschliche Gaumenfreuden sterben muss? Auch vor dem Hintergrund, dass das Grauen in unseren europäischen Massenschlachthöfen wohl kaum noch übertroffen werden kann und das Schächten sich als die „humanere“ Tötungsmethode erweisen könnte: Ist das „Menschenrecht“ auf freie Religionsausübung wirklich so hoch zu bewerten? […] BIRGIT SCHIEFKE, Hannover

Vorsätzlicher Verstoß gegen deutsche Gesetze per Ausnahmeregelung durch das BVerfG ist jetzt also der Beweis für die multikulturelle Gesellschaft, in der jeder Kirchenglockengebimmel und Kruzifixe in der Klassenzimmerecke gefälligst zu ertragen hat. Wie weit muss sich der aufgeklärte Mensch noch verbiegen, um bloß ja keinem „Recht“gläubigen auf die Füße zu treten? Ist nicht eher das Bestehen auf archaischen Riten im Gastland ein Zeichen für Intoleranz? […] Diese Debatte zeigt ganz offensichtlich, wie wenig orthodoxe Strömungen bereit sind, sich mit Normen und Regeln ihrer Umgebung zu arrangieren. GUNTER TROIKE, Berlin

Schön für die türkischen und andere islamische Gemeinden in Deutschland, dass sie es schaffen, sich von den Lehrmeinungen ihrer Imame zu distanzieren. Aber das rechtfertigt keineswegs, Tiere leiden zu lassen. Auch nicht per Ausnahmegenehmigung. Ich begrüße die Initiative von Rot-Grün zur Aufnahme des Tierschutzes ins Grundgesetz. […] ALICE THIEMANN, Frankfurt/M.

Das Karlsruher Urteil ist kein Sieg der Religionsfreiheit, sondern des Aberglaubens. „Rational“ betrachtet dürfte jemand, der kein Blut essen will, natürlich auch „ausgeblutetes“ Fleisch nicht verzehren, denn auch in diesem Fleisch werden immer noch Blutreste sein. […] ULRICH CH. BLORTZ, Köln

Mit seinem Kommentar über die Abschaffung des Schächtverbots für Muslime hat sich Manfred Kriener in das selbige hineinkatapultiert mit der Feststellung „Schächten ist eine unnötige Quälerei und Zeichen brutaler Toleranz“. Hier werden die immer gleichen antisemitischen Stereotypen – jetzt auch auf Muslime ausgeweitet – reproduziert. Wir leben nicht mehr im Mittelalter, sondern in einer Informationsgeselslchaft, und Herrn Kriener wie anderen Interessierten seien die fachkompetenten Seiten von Rabbiner Levinger, der zugleich Tierarzt ist, empfohlen: http://www.hagalil.com/judentum/koscher/schaechten.htm IRIS WEISS, Berlin

Die Redaktion behält sich den Abdruck sowie das Kürzen von Briefen vor. Die erscheinenden LeserInnenbriefe geben nicht notwendigerweise die Meinung der taz wieder.

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