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„Zum Erhängen war der Hinrichtungsraum viel zu niedrig“

■ 40 Jahre danach treffen sich Waldheim-Opfer/ In Waldheim wurden angebliche Naziverbrecher ohne rechtsstaatliche Verfahren verurteilt

Leipzig (dpa) — Pegau in Sachsen im Sommer 1945. Seit ein paar Monaten schweigen nun schon die Waffen: „Ich war auf dem Weg zum Bäcker, als plötzlich ein Militärjeep der Russen neben mir hielt und man mich aufforderte, mitzukommen“, erzählt Werner Thomä, der heute in Guggenau im Schwarzwald lebt. Von einer kurzen Vernehmung sei die Rede gewesen. Doch dann werfen die „Befreier“ dem damals 16jährigen vor, er sei ein „Werwolf“ — eine von den Nazis in den letzten Kriegsmonaten befohlene Widerstandsbewegung —, hätte „ein Waffenlager angelegt und die deutsche Jugend vergiftet“. Sieben Jahre mußte Werner Thomä unter unmenschlichen Bedingungen in Gefängnissen verbringen. Am Wochenende kehrte der 63jährige an den Ort zurück, mit dem er die schrecklichsten Erinnerungen seines Lebens verbindet: Waldheim, ein kleines, malerisches Städtchen, im Zschopautal zwischen Dresden und Leipzig gelegen. In Schnellverfahren wurden dort innerhalb von knapp drei Monaten fast 3.400 Menschen zu Nazi- und Kriegsverbrechern gestempelt und — zumeist unschuldig— für Jahre hinter Gefängnisgitter verbannt.

Am Wochenende, mehr als 40 Jahre danach, trafen sich in Waldheim etwa 100 ehemalige Gefangene, um der Opfer zu gedenken. Nachdem am 16. Januar 1950 die Auflösung der letzten sowjetischen Sonderlager in Ostdeutschland begann, wurden 10.513 Häftlinge der DDR übergeben. 3.442 dieser Gefangenen, die zumeist seit 1945 oder 1946 interniert waren, kamen nach Waldheim. Dort sollte ihre Schuld oder Unschuld von einem deutschen Gericht geprüft werden. „Als wir davon erfuhren, schöpften wir Hoffnung“, erzählt Arno Weiß, der bis 1954 einsaß. Doch die SED-Führung, angestachelt durch die verschleppte Verfolgung von Naziverbrechen in Westdeutschland, wollte Härte zeigen. Dazu installierte sie Sondergerichte, die ausschließlich mit linientreuen Parteileuten besetzt wurden. Die Angeklagten hatten in den jeweils höchstens 50 Minuten dauernden Verhandlungen kaum ein Chance. „Die ,Waldheimer Prozesse‘ waren eine im Schnellverfahren vollzogene, rechtswidrige, zur Demonstration des Antifaschismus und zur repressiven politischen Integration ausgenutzte Massenaburteilung“, schreibt die Historikerin Wilfriede Otto aus Berlin.

Die „Schuld“ des einzelnen stand in der Regel schon vorher fest. Die Anklageschriften stützten sich auf von den Sowjets hinterlassene Protokolle. Dort stand unter der Rubrik „Sachverhalt“ in meist nicht mehr als vier Zeilen, was dem Delinquenten vorgeworfen wurde: „Verbrechen gegen die Menschlichkeit“, „Verbrecherorganisation“, „Gestapo“, „Nutznießer“. Es gab keinerlei Überprüfungen dieser Vorwürfe.

Besonders tragisch erwies sich diese „Rechtsprechung“ für 24 Häftlinge, die in der Nacht vom 3. auf den 4. November 1950 in Waldheim hingerichtet wurden. Benno Prieß, der Initiator des Waldheim-Treffens, erinnert sich: „Im Minutentakt wurden die Verurteilten zur Hinrichtung geschafft. Dabei hörte ich das Schleifen ihrer Füße auf dem Fußboden.“ Wie sie zu Tode kamen, weiß keiner der Überlebenden. „Zum Erhängen war der Hinrichtungsraum viel zu niedrig“, sagt Prieß. „Sie müssen einfach stranguliert worden sein.“ Oliver Schirg

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