■ Zum Beitrag von Andrei S. Markovits: Emotionale Verallgemeinerungen
betr.: „Der salonfähige Antisemitismus“, taz.mag vom 11. 5. 02
Der Beitrag von Markovits ist kontraproduktiv. Er vertieft nur Gräben, die offensichtlich existieren. Ein Beispiel: Deutsche Kriegerwitwe im Bus auf dem Weg zum Friedhof sagt zu jungem Schwarzafrikaner, der ihr seinen ausgelutschten Kaugummi vor die Füße spuckt: „Junger Mann, das gehört sich aber nicht.“ Die stereotype Antwort lautet: „Ja, Oma, ich weiß, ihr seid alle Rassisten.“ […]
Wenn man den Jüngeren und den Jungen in Deutschland dauernd die Fuchtel des Antisemitismus unter die Nase hält, so erreicht man eine neue Frontenbildung. Jeder kennt den Begriff von den terribles simplificateurs. Die terribles chanteurs (Erpresser) sind nicht weniger gefährlich. […]
Und zum Schluss zu den USA: Wer glaubt denn im Ernst, dass die Amis nicht von heute auf morgen das „Nahostproblem“ lösen könnten, wenn sie es nur wollten? Außerdem hieß es vor dem 11. September in allen Gazetten der Welt, Bush sei der dümmste Präsident aller Zeiten. Ich habe nicht den Eindruck, dass dieser Mann seitdem intelligenter geworden wäre. Und da soll keine Kritik erlaubt sein! Bitte überprüfen Sie Ihren Standpunkt, Herr Markovits.
Wie rechtfertigen Sie eigentlich die israelische Siedlungspolitik, und wer schützt wohl dieselbe? Mir scheint, Sie haben in Ihrem Aufsatz ein paar wesentliche Dinge ausgelassen.
HEINZ MUNDSCHAU, Aachen
Darf man Arik Scharon noch kritisieren? Darf man noch deutlich sagen, dass er das Massaker in Sabra und Schatila organisiert hat? Dass es sein drohender Wahlsieg war, der die Verhandlungen von Barak mit Arafat zur unwirklichen Farce machte? Dass er den Oslo-Prozess zerstören wollte und ihn jetzt auch zerstört hat? Neuerdings mehren sich die Stimmen, dass man als Deutscher dies nicht laut sagen dürfe. Das sei neuer Antisemitismus.
Dazu möchte ich als in Deutschland geborener und aufgewachsener Jude sagen: Ich bin mit der Bitternis aufgewachsen, von der meine Eltern aufgrund der Diskriminierung und Entwürdigung erfüllt waren, jeden Tag sah ich die Auschwitz-Nummer im Arm meines Vaters. Da kann es doch nicht wahr sein, dass ausgerechnet ein sich jüdisch nennender Staat Diskriminierung und Entwürdigung weitergibt, indem er seit 35 Jahren ein Territorium besetzt und dessen Bewohnern demokratische, wirtschaftliche und politische Rechte vorenthält. Das ist mein Gefühl, und ich sehe nicht, was daran antisemitisch sein soll. Es sei denn, man nennt das israelische Friedenslager auch antisemitisch. Und wenn ich und die nicht antisemitisch sind, wieso sollen nichtjüdische Deutsche, die das denken und sagen, antisemitisch sein?
Das Judentum ist die Religion, das die Gebote „Du sollst nicht morden“ und „Liebe Deinen Nächsten wie Dich selbst“ in die Welt gebracht hat, in der stets die Idee der messianischen Erlösung von der Ungerechtigkeit eine zentrale Rolle gespielt hat – wie kann das Hochhalten dieser Werte antisemitisch sein? Im Gegenteil, das unterstützt die besten Kräfte im Judentum, es unterstützt das Friedenslager in Israel, wir brauchen mehr von diesen „Antisemiten“! ROLF VERLEGER, Lübeck
Von einem Professor für Politik und Soziologie sollte man sorgfältige Datenanalyse und nicht emotionale Verallgemeinerungen erwarten. Ich jedenfalls vermag in Deutschland keinen „Konsens“ von „Leidenschaft und Wut“ gegenüber dem Staat Israel oder gar den Juden festzustellen. Sehr wohl aber gibt es viel begründete Kritik an Israel wegen seiner gegenwärtigen Politik. Das bezeichnet Professor Markovits zwar im Irrealis als „völlig legitim“ leugnet aber in seinem ganzen Artikel, dass es so etwas gibt.
Ich kann nur feststellen: Ich fühle mich persönlich beleidigt, wenn meine Meinung über das Verhalten der Regierung Israels pauschal als Antisemitismus abqualifiziert wird. Das ist billig und plump und kann nur damit erklärt werden, dass Herr Markovits mit vielen Amerikanern zutiefst verletzt ist darüber, dass wir sie nicht bedingungslos lieben und ihre Meinung als die einzig richtige akzeptieren, sondern hin und wieder die Weltläufte etwas anders interpretieren als sie. WOLFGANG MAI, Stuttgart
Markovits stellt eine Verbindung zwischen politischer Rechten und Linken in Europa her, die vollkommen unzutreffend ist. Es mag ja sein, dass aus beiden Ecken Kritik an der israelischen repressiven „Politik“ im Konflikt mit den Palästinensern geübt wird und auch, dass die Einstellung zur Politik der US-Regierung von beiden Seiten abgelehnt wird. Es ist aber auch eine andere Ausgangslage für diese Kritik deutlich erkennbar. Außerdem kommt die Kritik in Bezug auf den Nahostkonflikt auch aus dem mittleren Spektrum der europäischen Parteien. Ebenso kann nicht von Einseitigkeit die Rede sein, weil genauso auch der Terror politischer und religiöser Extremisten Palästinas verurteilt wird.
[…] Natürlich haben wir in Deutschland und ganz Europa ein Problem mit nationalistischen und neonazistischen Tendenzen in der Gesellschaft, das uns schwer zu schaffen macht und das sicherlich auch in der Diskussion um Palästina zum Tragen kommt. Klar lugt aus diesen Kreisen der Antisemitismus hervor. An dieser Stelle ist seine Analyse vollkommen richtig. Aber sonst? Er spricht selbst von Enttäuschung. Natürlich sind wir enttäuscht von Israel und auch von den USA, weil sie so mit der Krisensituation umgehen, wie sie es tun. Gerade weil Israel und die USA uns kulturell näher stehen, als zum Beispiel Indien, der Irak oder Sudan, sind wir so betroffen und enttäuscht. Das ist doch ganz klar und vollkommen normal. […] Trotz aller Selbstreflexion müssen wir das natürliche Recht haben, Stellung gegen eine Politik der Eskalation und Unterdrückung zu beziehen. In Europa und überall in der Welt. Dies gilt insbesondere dann, wenn sie von uns nahe stehenden Ländern ausgeht. Jetzt ist jetzt, Israel ist Israel, Unrecht ist Unrecht. HENNING EHLERS, Willich
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