: Zum Beispiel Sololá
Über den tatsächlichen Anteil der indigenen Bevölkerung in Guatemala wird seit langem gestritten. Während die regierungsoffiziellen Zahlen von 45 Prozent indigener Bevölkerung und 55 Prozent Mestizen („Mischlinge“ aus spanischstämmiger und indigener Bevölkerung; in Guatemala Ladinos genannt) und Weißen ausgehen, sprechen Indígena-Organisationen von mindestens 60 Prozent indigener Bevölkerung. Sie sagen, die offiziellen Statistiken rechneten einfach Indígenas, die des Spanischen mächtig sind, den Ladinos zu, um die tatsächliche indianische Bevölkerungsmehrheit zu verschleiern.
Die Gemeinde Sololá im westlichen Hochland von Guatemala ist überwiegend indianisch. Mehr als 95 Prozent der rund zehntausend Einwohner gehören zu den Mayavölkern der Kaqchikel und Quiché.
Der 1547 gegründete Ort musste den spanischen Kolonialherren zwar von Anfang an Tribut bezahlen. Bis 1901 aber wurde er von Mayas regiert. Der Bürgermeister war gleichzeitig der Friedensrichter der Stadt. Er sprach Recht nach den Mayatraditionen.
Ein Prozess nach dieser Tradition war der Grund für das Ende der Mayaherrschaft. Der Legende nach war ein Sohn des damaligen Bürgermeisters ein Trinker. Als ihm das Geld für Schnaps ausgegangen war, stahl er ein Schaf, um es zu verkaufen. Er wurde ertappt. Sein eigener Vater verurteilte ihn zu fünfzig öffentlich zu verabreichenden Stockhieben und zu unbezahlter gemeinnütziger Arbeit.
Die wenigen Ladinos des Ortes waren schockiert. Wenn der Mayabürgermeister so mit seinem eigenen Sohn umgeht, was wird er tun, wenn er einen Ladino zu verurteilen hat! Sie intervenierten bei der Regierung in Guatemala-Stadt. Der Mayabürgermeister wurde abgesetzt. Seither regierten Ladinos in Sololá.
Als einzige Struktur der Mayaverwaltung überlebten die so genannten Cofradías. Diese Bruderschaften beschränkten sich auf folkloristisch-religiöse Elemente der Mayakultur und waren deshalb schon von den Spaniern geduldet worden. In den vergangenen Jahren wurden sie für die Regierung in Guatemala-Stadt sogar interessant. Geheimnisvolle Mayamystik lässt sich touristisch vermarkten.
Die neue Mayabewegung entstand gegen Ende des Bürgerkriegs (1960 bis 1996) aus Organisationen von Bürgerkriegsopfern und der überwiegend indianischen Landarbeitergewerkschaft CUC.
In Sololá wurde Ende 1993 zum ersten Mal wieder nach altem Brauch ein Mayabürgermeister als Parallelinstanz zur offiziellen Gemeindeverwaltung gewählt. 1997 gewannen die Maya mit einer parteiunabhängigen Bürgerliste auch die von der Regierung veranstaltete Bürgermeister- und Gemeinderatswahl. Seither stellen sie den Maya- und den offiziellen Bürgermeister.
Politisch haben sie zwar die Macht. Wirtschaftlich aber geht es ihnen schlecht. Das Gros der Mayafamilien lebt von Kleinhandel und Subsistenzwirtschaft auf Minifundien von weniger als zwei Hektar.
Nach den jüngsten Statistiken der Gemeinde Sololá leben rund zwei Drittel der Indígena in Armut. 72 Prozent sind Analphabeten. Doch diese Zahl bezieht sich noch immer auf das Lesen und Schreiben in Spanisch. KEP
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen