piwik no script img

Zum Abschuß freigegeben

Ein Gespräch mit dem jungen kurdischen Flüchtling Ali Kocahal über den institutionalisierten Zynismus der Asylbürokratie  ■ Von Franco Foraci

taz: Ali, steckst du noch im Asylverfahren?

Ali Kocahal: Ja, das kann vielleicht noch fünf Jahre dauern.

Wann und wo hast du den Asylantrag gestellt?

Ich habe meinen Asylantrag schon vor 28 Monaten eingereicht– in der Hessischen Gemeinschaftsunterkunft Schwalbach (HGU).

Dem hoffnungslos überfüllten...

... Massensammellager für Flüchtlinge.

Warum betonst du das so vehement?

Weil das Wort „Gemeinschaftsunterkunft“ etwas Positives suggeriert. In Wahrheit waren wir zusammengepfercht wie in einer Sardinenbüchse. Bis zu zehn Menschen haben in einem kleinen Raum geschlafen.

In den zweieinhalb Jahren als Asylbewerber warst du in verschiedenen Asylheimen untergebracht. Wie oft mußtest du die Sammelunterkunft wechseln?

Viermal: Ein paar Tage nachdem ich meinen Asylantrag gestellt hatte, wurde ich zu einer Außenstelle der HGU in Zeppelinheim gebracht. Danach kam ich in ein Asylbewerberheim bei Chemnitz in Sachsen. Von dort bin ich dann wieder zurück nach Hessen gekommen: zuerst wieder in die HGU, dann nach Darmstadt- Rossdorf.

Die Rückkehr in die HGU ging nicht ohne Schwierigkeiten. Normalerweise hättest du im Chemnitzer Asylbewerberheim bleiben müssen. Was war passiert?

In Chemnitz hatten Rechtsradikale im letzten Sommer versucht, unsere Unterkunft anzuzünden. Wir hatten Angst. Nach mehreren Brandanschlägen beschlossen die Leute, die von der HGU verteilt wurden, dorthin wieder zurückzukehren.

Illegal.

Ja, illegal. Wir wollten nicht noch einmal angegriffen werden und sind nachts geflüchtet. Wir haben dann den Zug nach Schwalbach genommen. Dort angekommen, sagte man uns, die könnten keine Doppelflüchtlinge aufnehmen. Wir müßten zurück nach Chemnitz. Weil wir das nicht wollten, haben wir demonstriert und 25 Tage lang einen Hungerstreik veranstaltet. Nach langem Hin und Her durften wir bleiben.

Hat euch bei eurer Flucht von Deutschland nach Deutschland eigentlich niemand aufgehalten?

Nein. Das Asylbewerberheim bei Chemnitz war gar nicht geschützt. Es gab keine Wachleute. Zweimal am Tag – wir kannten genau die Uhrzeit – fuhr ein Streifenwagen der Polizei vorbei. Die schauten ein bißchen und verschwanden schnell wieder. Zwischen morgens um sechs und abends um neun und in der Nacht waren wir auf uns selbst gestellt.

Ihr wart sozusagen zum Abschuß freigegeben?

Genau. Noch dazu befand sich das Lager irgendwo im Wald. Wer hätte uns da hören sollen. Die Telefonleitungen zu kappen wäre ein Kinderspiel für die Neonazis gewesen

Was spielte sich in den Asylbewerberheimen, in denen du warst, ab? Wie ist das dort beschäftigte Personal mit den Flüchtlingen umgegangen?

Also besonders freundlich wenn Du das meinst, waren die Sozialarbeiter nicht. Es wäre aber unfähr zu sage, sie seien uns gegenüber aggressiv gewesen. Wir kamen uns eher vor wie in einem Maschinenebetrieb. Ob in der HGU oder in Darmstadt Rossdorf, wir wurden nur abgefertigt. Am harmlosesten war, daß wir jeden Tag das gleiche Essen bekamen: Zum Frühstück Brötchen und eine winzige Menge Marmelade, mittags immer dieselbe Suppe und zum Abendessen eine Dose mit wirklich ungenießbarem Fisch.

Es gab einige Sozialarbeiter die reagierten gar nicht auf unsere beschwerden und Fragen.

Einen Mann aus Senegal, der auch nicht in die neuen Bundesländer gebracht werden wollte, hat ein Polizist verprügelzt. Als er sich weiter weigerte, mit seiner Familie weggebracht zu werden, kam er ins Gefängnis. Nach ein paar Tagen wurde der Senegalese abgeschoben.

Du bist jetzt mit einer deutschen Frau verheiratet und mußt nicht mehr in einem Lager leben. Du bekommst auch keine Sozialhilfe, weil du eine Arbeit in Frankfurt gefunden hast. Wieso hast du noch keine Aufenthaltsgenehmigung?

Während mein Asylverfahren noch läuft, darf ich nur eine Arbeitserlaubnis bekommen, egal ob ich mit einer Deutschen verheiratet bin oder nicht. Ich hätte keine Probleme mehr, wenn ich zum türkischen Konsulat ginge und einen türkischen Paß beantragte, sagen mir die Behörden zynisch. Sie wissen genau, was mit Kurden in der Türkei passiert. Jeden Tag werden 40 bis 50 Leute in Kurdistan umgebracht. Ich bin ein Kurde und war politisch aktiv; würde ich tun, was mir die deutschen Beamten „empfehlen“, müßte ich in der Türkei den Militärdienst machen. Als Kurde kommst du da lebend jedenfalls nicht mehr raus.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen