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Zukunft für Sozialdemokratie Vizekanzlerkandidat Scholz!

Warum die SPD als Juniorpartner der Grünen eine neue Perspektive gewinnen könnte – in der zweiten Reihe, aber gestaltend und dicht an ihren alten Tradition.

Von UDO KNAPP

In den Umfragen zur Bundestagswahl liegt die CDU/CSU stabil zwischen 35 und 40 Prozent, die Grünen changieren um die 20 Prozent und die SPD liegt, mit kleinen Ausschlägen nach oben und unten, konstant um die 15 Prozent. Das heißt: Die größten Chancen ins Bundeskanzleramt einzuziehen haben sicher CDU/CSU, eingeschränkte Chancen haben die Grünen – und gar keine die SPD. Deshalb stellt sich die Frage, ob die SPD nicht ein besseres Angebot zu machen hat als die bisher präsentierte Luftnummer mit dem „Kanzlerkandidaten“ Olaf Scholz.

Alle drei Volksparteien verfolgen mit nur schwer zu identifizierenden Unterschieden die gleiche Programmatik: Kampf dem Klimawandel, Umbau der heute fossilen in eine ökologische Marktwirtschaft, Digitalisierung von Wirtschaft und Gesellschaft bis in ihren letzten Winkel. Einig sind sich alle drei Parteien auch darin, dass im sehr grundsätzlichen Wandel des gesamten Gesellschaftsgefüges dem Staat, sprich der Exekutive, eine größere Rolle zukommt als nur die Interessen nach allen Seiten zu moderieren. Vielmehr soll die Exekutive, wie in der Corona-Bekämpfung von Kanzlerin Merkel vorgeführt, inhaltlich, ordnungspolitisch und finanzpolitisch mit Zielvorgaben für Wissenschaften, Wirtschaft und den Lebensalltag der Bürger den Wandel der Gesellschaft anführen, antreiben und ihm Raum schaffen. Alle drei Volksparteien sehen die Zukunft der Bunderepublik in einer aktiv vertieften Europäischen Union, wofür die Bundesrepublik in jeder Hinsicht in Vorleistung gehen muss.

Die SPD wird die Bundestagswahl nicht gewinnen

Vor diesem strategischen Hintergrund sind in der Wahrnehmung der Bürger die Rollen der drei Volksparteien im Zukunftsgefüge dennoch deutlich verschieden akzentuiert. Die CDU trifft das Bedürfnis der nach oben und unten verbreiterten Mitte der Gesellschaft nach Stabilität im Wandel. Die Grünen sichern, immer breiter akzeptiert, die ökologischen Leitplanken des Wandels. Und die SPD stabilisiert mit ihrer sozialen Wundertüte ebenso wie mit Finanzminister Scholz' Corona-Geldklatsche den Sozialstaat im Wandel. Anders als bei CDU und Grünen werden die Erfolge der SPD in der Sozialpolitik in der Regierungskoalition nicht in wachsende Zustimmung bei den Bürgern übersetzt. Der Sozialstaat ist ein selbstverständlicher Bestandteil ihres Alltaglebens geworden. Seine verbesserte materielle Ausgestaltung durch die Arbeit der SPD verstärkt nur die maßlose Anspruchshaltung der Bundesbürger auf immer mehr vom Gleichen, ändert an ihrer politisch Indifferenz gegenüber der SPD aber gar nichts.

Wenn die SPD aus dieser negativen Erfolgsfalle ausbrechen will, dann sollte sie ihr Getöse von einem künftigen Kanzler Scholz schleunigst aufgeben. Sie sollte stattdessen ihre Rolle als Juniorpartner in einer nächsten Bundesregierung auch offentlich einnehmen und zwar in welcher Konstellation auch immer. Ein solch mutiges Akzeptieren der gesellschaftlichen Realität könnte der SPD programmatischen Raum für das Erzählen einer erneuerten sozialdemokratischen Zukunftsgeschichte jenseits ihrer Politik der „sozialen Wundertüte“ eröffnen.

Der SPD glaubt ohnehin keiner, dass sie den Ausstieg aus dem fossilen Wirtschaften wirklich will oder besser hinkriegt als die Grünen. Um dieses Wissen zu bestätigen, wurde das ökologisch und demokratiepolitisch sich selbst delegitimierende Eintreten von Scholz, Steinmeier und Schwesig für die Gaspipeline Nordstream 2 gar nicht mehr gebraucht. Schon gar nicht glaubt der SPD jemand, dass die Partei auch nach der verlorenen Wahl im Herbst geschlossen hinter ihrem Spitzenkandidaten Scholz stehen wird.

Als als Juniorpartner der Grünen eine neue Perspektive gewinnen

An zwei strategisch blinden Flecken in der Programmatik von CDU, Grünen und SPD lässt sich beispielhaft erläutern, warum die SPD als Juniorpartner der Grünen – jenseits der Bundestagswahl 2021 – eine neue historische Perspektive und eine gestaltende Rolle in der zweiten Reihe gewinnen könnte – dicht an ihren alten Traditionen von sozialer Gerechtigkeit und konsequent durchgesetzter innerer Sicherheit.

Da sind zum einen die im ökologischen Umbau verlorengehenden Millionen Arbeitsplätze von Angestellten, Facharbeitern und niedrigqualifizierten Beschäftigten. Hier entsteht eine breite Schicht von Nichtgebrauchten, die selbst materiell ruhig gestellt die Reservearmee für demokratieverachtende Populisten bildet. Weder CDU noch Grüne adressieren bisher ernsthaft diese Verlorenen mitten in unserer Gesellschaft.

Da ist zum anderen das weite Feld der Migration und der inneren Sicherheit. Es macht keinen Sinn, dass die SPD mit den Grünen und der CDU um das liberalste Konzept einer Einwanderung streiten oder am Implementieren immer weiter ausdifferenzierter Identitätspolitiken basteln sollte, während zugleich die irrationalen Ängste auf dem Weg in eine EU-weit offene Einwanderungsgesellschaft und die Ängste wegen der Entwertung bisher allgemeinverbindlicher Lebensstile in weiten Teilen der Gesellschaft nicht ernst genommen werden.

Grün–Rot als Weg ins ökologische 21. Jahrhundert

Klar: Für die weit über 100 Jahre alte SPD, die historische Großpartei der sozialdemokratischen Zivilisierung des westlichen Kapitalismus, mag es als unzumutbar erscheinen, im Wahlkampf offen in der Rolle eines Juniorpartners aufzutreten, um für eine Alternative zu Schwarz-Grün zu werben. Zudem noch, um damit der gerade mal 40 Jahre alten Grünen Partei ins Kanzleramt zu helfen.

Ganz abgesehen davon, dass die SPD-Strategen ganz sicher auch die Fortsetzung einer CDU/SPD-Koalition im Auge haben, ist es aber vorstellbar, dass mit einem SPD-Werben für Grün–Rot ein spannender Wettbewerb über den erfolgversprechendsten Weg der Bundesrepublik ins ökologische 21. Jahrhundert losgetreten würde.

Zugegeben, sehr wahrscheinlich ist ein solcher Realismus in der SPD nicht. Aber es ist ja schließlich nicht verboten, die Partei auf die Wirklichkeit hinzuweisen.

UDO KNAPP ist Politologe und Politikberater. Er war für die SPD stellvertretender Landrat von Rügen.