Zukunft des Radfahrens in Bremen: Revolution der "Gelegenheitsverkehre"
Bremen soll Modellstandort für "Öffentliche Fahrradverleihsysteme" werden. Motorisierte innerstädtische Kurzfahrten würden damit oftmals überflüssig. Noch wird aber ein Betreiber gesucht VON HENNING BLEYL
Manche Themen brauchen ihre Zeit: Momentan sind "Öffentliche Fahrradverleihsysteme" en vogue. Hamburg geht dieser Tage mit 70 Leihstationen an den Start, der "Nationale Radverkehrsplan" hat sich die Förderung solcher Systeme explizit zum Ziel gesetzt. Und Bremen, mit etwa 20 Prozent Fahrradanteil am Verkehrsaufkommen diesbezüglich Spitzenreiter aller Städte ab 500.000 Einwohnern? Hier stehen genau neun "Call a bike"-Räder im Hauptbahnhof herum. Ebenso wie die an der "Radstation" verliehenen Räder müssen sie nach Gebrauch an den Bahnhof zurückgebracht werden. Das Gleiche gilt für die insgesamt knapp über 100 Leihräder, die über die Stadt verstreut von neun Händlern angeboten werden.
Ein ansatzweise flächendeckendes Verleihsystem für Spontanfahrer ist etwas grundsätzlich anderes - und eigentlich ein Muss für einen grünen, explizit dem Klimaschutz verpflichteten Verkehrssenator. "Wir wollten solch ein Vorhaben schon seit längerem ausschreiben", sagt dessen Sprecher. Jetzt aber setze man auf den im September startenden Modellversuch "Innovative öffentliche Fahrradverleihsysteme" des Bundesverkehrsministeriums. Dessen Vorteil: Mit 600.000 Euro biete er eine Vollfinanzierung des Verleihsystems inklusive der Betriebskosten für das erste Jahr.
Erst in den Folgejahren würde der kommunale Haushalt belastet. Gerechnet wird mit rund 1.000 Rädern, wie viele Stationen in welchen Stadtteilen eingerichtet würden, wird von der Verwaltung derzeit überlegt. Abgabedatum des Bewerbungskonzepts ist Mitte Juni. Als höchste Hürde gilt der Anspruch des Ministeriums, innovative Ideen etwa in Bezug auf die technischen Rückgabe-Modalitäten zu präsentieren.
Historische Verdienste werden hingegen kaum ins Gewicht fallen: Dabei war Bremen 1978 die bundesweit erste Kommune, die, inspiriert von den Amsterdamer weißen Fahrrädern, ein kostenloses Zweiradgeschwader zur Verfügung stellte. Das Stadtamt sorgte für 200 Recyclingräder, die jedermann nutzen und innerhalb eines definierten Bereichs wieder abzustellen hatte. Nach zwei Jahren musste man sich allerdings dem offenbar unvermeidlichen Schwund beugen, die Restflotte wurde dem bis 2003 letztlich kommerziell betriebenen Verleih-Container am Hauptbahnhof zur Verfügung gestellt.
Wegweisender ist der Kirchentag: Als bundesweit erste fahrradorientierte Massenveranstaltung würden dort wichtige Kontakte und Know-how gesammelt, sagt Klaus-Peter Land vom ADFC, der die 1.000er-Serie des sowohl zu kaufenden als auch zu leihenden "Kirchentagrads" mitentwickelt hat. Zusätzlich werden um die 300 reine Leihräder im Einsatz sein - unter anderem aus dem reich gefüllten Fundus des Fundamts. Von den 1.000 gleichfalls zum Kirchentag installierten Abstellbügeln sollen zwei Drittel dauerhaft in der Überseestadt und, falls die Messegesellschaft mitmacht, auch auf der Bürgerweide bleiben. Die 320 Metallständer, mit denen eine Fahrspur der Martinistraße zum Parkplatz umfunktioniert wird, haben hingegen ein von vornherein befristetes Gastspiel.
Ungeklärt ist die Frage eines Betreibers des künftigen Leihsystems - die Deutsche Bahn, in Hamburg Kooperationspartnerin der Kommune, steht in Bremen nicht zur Debatte. Für die Abwicklung zumindest im Bremer Westen interessiert sich beispielsweise die "Waller Beschäftigungs- und Qualifizierungsgesellschaft", die sich bereits bei der Aufarbeitung der recycelten Kirchentagsräder engagiert. Auf der anderen Seite der potenziellen Anbieter-Palette steht der Stadtmöblierungs-Riese JCDecaux, Betreiber des mit 20.000 gut genutzten Rädern unerreichte Pariser Verleihsystem. Zu einer Decaux-Lösung passt die Ankündigung des Verkehrsressorts, die Leihräder aus Kostengründen als Werbeträger zu nutzen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 50.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Ostdeutschland wählt rechtsradikal
Was, wenn alles nicht mehr hilft?
Letzte Generation orientiert sich um
„Die Straßenblockaden hatten eine strategische Funktion“
Nach dem Eklat im Oval Office
Europa, wohin?
Nach der Bundestagswahl
Braucht Deutschland Robert Habeck nicht?
Vorfall in Mannheim
Autofahrer rast durch Fußgängerzone
Donald Trump und die Aktienkurse
Die Wahrheit der Börsen