Zukünftiger US-Präsident Obama: Linke Theoretiker warnen vor Euphorie

Die linken Theoretiker Terry Eagleton und Judith Butler wollen angesichts des zukünftigen US-Präsidenten skeptisch bleiben. Linke dürften sich über Obama freuen, meint dagegen Slavoj Zizek.

Lichtgestalt? Barack Obama. Bild: rtr

Terry Eagleton, der bekannte marxistische Literaturtheoretiker, meinte kürzlich bei einem Vortrag, Linke seien diejenigen, die der guten Nachricht misstrauen. Und zeigt sich umgehend selbst als so ein lupenreiner Linker: Obamas Sieg wolle er nicht als frohe Botschaft gelten lassen. Man solle sich da mal nicht täuschen lassen, wetterte er, Obama sei kein Radikaler. So eine Wahl könne keinen change bringen, denn in den USA gebe es nur eine Partei, die Partei des Kapitalismus. Obamas Sieg wäre zwar hübsch, aber er würde nichts Grundlegendes ändern.

Auch die Philosophin Judith Butler bläst in dasselbe Horn und erfüllt diese Definition von Linkssein. Die Langfassung ihres Essays "Kritikloser Überschwang" - eine gekürzte Version erschien unlängst in der taz - ist eine Art Warnung vor dem falschen und Anleitung für den richtigen Umgang mit Obama.

Falsch sei: sich der Euphorie hingeben, heiter sein, an die Überwindung der Antagonismen glauben, sich mit dem politischen Führer identifizieren (ganz falsch! Faschismus!), die extreme Nichtambivalenz des Moments genießen, Politik als Feier ohne Ambivalenzen betreiben, kritikloser Überschwang.

Richtig sei: Immunität gegen Heiterkeit, kritisch bleiben, sich der Euphorie nicht hingeben, festhalten an den Antagonismen, Misstrauen hegen, Ernüchterung, Sinn für Dissonanzen und für kritische Politik, ambivalent bleiben.

Nicht gerade lustbetont, was da als gut und progressiv gilt. Also Spaß beiseite. Halten wir die Zuordnung fest: links, das bedeutet Realismus; nicht links heißt, der Illusion anhängen.

Und nun hat ausgerechnet Slavoj Zizek diese Anordnung verkehrt, sie gewissermaßen auf den Kopf gestellt. Ausgerechnet Zizek, der doch seit Jahr und Tag die Scheinhaftigkeit des Wählens, den Mangel an wirklichen Alternativen, an wirklichen Differenzen beklagt. In der London Review of Books hat Zizek unter dem schönen Titel "Use your illusions" einen Text veröffentlicht, der einem anderen Umgang mit Obamas Sieg das Wort spricht. Nicht, dass er die Zweifel an den realen Konsequenzen des Sieges nicht verstehen würde, aber selbst wenn Obama zu einem "Bush mit menschlichem Anlitz" werden sollte, wäre diese skeptische Reaktion trotzdem grundlegend falsch. Denn Obamas Sieg sei nicht einfach eine weitere Verschiebung im ewigen parlamentarischen Gerangel. Er sei vielmehr das Zeichen von "something more". Wovon? Genau hier dreht Zizek den Spieß um.

Mit Kant stellt er die Frage: Gibt es wirklichen Fortschritt in der Geschichte? Und mit Kant antwortet er: Ja, insofern es Geschehnisse gibt, die auf die Möglichkeit von Freiheit verweisen. Wie etwa die Französische Revolution, deren Fortschritt nicht so sehr in der blutigen Realität auf den Straßen von Paris lag als vielmehr im Enthusiasmus, den sie beim Publikum in ganz Europa auslöste, und den politischen Konsequenzen, die daraus folgten. Das heißt, Fortschritt ist dort, wo eine Veränderung nicht nur stattfindet, sondern auch eine Möglichkeit eröffnet wird - die Möglichkeit, dass überhaupt etwas Grundlegendes, etwas Neues passiert. Die Veränderung liegt also schon darin, dass sie überhaupt möglich wird. Denn dazu muss sie das, was sie bislang unmöglich gemacht hat, das, in dem sie nicht vorgesehen war, sprengen: die Realität. Die Realität, in der kein Platz war für die Illusion - etwa eines schwarzen US-Präsidenten. Nicht jene, die an solche Illusionen glauben, seien naiv. Die zynischen Realisten - die konservativen Realpolitiker - seien, so Zizek in einer der für ihn typischen Verkehrungen, die eigentlich Naiven. Ihre Naivität liegt darin, blind an die gegebene Realität zu glauben und damit die Möglichkeit zur Veränderung, die Realität ihrer Möglichkeit zu verkennen.

Im Umkehrschluss dazu ließe sich ergänzen: Links heißt demnach, nichtzynisch, Nichtrealist zu sein. Es heißt, die gegebene Situation nie für so abgeschlossen zu halten, dass nicht etwas passieren könnte. Es heißt, die Realität nicht absolut zu setzen, sondern - aller Wahrscheinlichkeit zum Trotz - dennoch an die Möglichkeit einer plötzlichen, unerwarteten, grundlegenden Veränderung zu glauben. An das, was Zizek mit Badiou das Ereignis nennt. In diesem Sinne: Freut euch über Obama. Und: Use your illusions! ISOLDE CHARIM

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