Zuhälter-Kult: Ehrung eines Luden
Thomas Born ist tot. Der Hamburger Kiez trauert, während in den Nachrufen das Bild eines Helden beschworen wird. Die Autorin verwirrt der Kult um einen Zuhälter.
HAMBURG taz| Der Ohlsdorfer Friedhof ist groß, und wenn man nicht genau weiß, wo man hin muss, kann man sich zwischen den Toten schon mal verlaufen. Aber in diesem Fall besteht kein Zweifel: Muskelbepackte, tätowierte Männer in schwarzen Anzügen, mit Pferdeschwanz oder Glatze, stehen breitbeinig vor der Fritz-Schumacher-Halle. Kräftiges Händeschütteln hier, vertrautes Schulterklopfen da, dunkle Sonnenbrillen, wo man hinguckt. Jeder, der meint, auf dem Hamburger Kiez etwas zu sagen zu haben, ist hier. Zu Grabe getragen wird einer von ihnen: Thomas Born, auch bekannt als Karate Tommy.
Zur Trauerfeier gekommen ist nicht nur Borns Familie– sowohl die Leibliche als auch die Kiezfamilie–, sondern auch jede Menge JournalistInnen. Kamerateams drängeln sich um die Rotlicht-Stars, halten Mikrofone über ihre Köpfe und an ihre Münder. JournalistInnen in der zweiten und dritten Reihe schreiben eifrig mit, was sie aufschnappen: „Er war ein Guter“, sagt ein Glatzkopf mit Tribal-Tattoos im Gesicht. „Ich kannte ihn noch von ganz früher“, sagt ein Rocker in Lederkluft. „Zum letzten Mal gesehen habe ich ihn letzte Woche“, dringt es aus einer Menschentraube hervor. Woher kommt dieses Medieninteresse an einem Zuhälter?
Adrenalin-Überschuss
„Sein Kämpferherz schlägt nicht mehr“, betitelte die Hamburger Morgenpost letzte Woche einen Nachruf auf Thomas Born, in dem der Autor Thomas Hirschbiegel an „bewegte gemeinsame Zeiten“ erinnert. Es sei nicht leicht, etwas Gutes über Born zu schreiben, sagt der Autor und bemüht sich dennoch. Er beschreibt den Verstorbenen als jemanden, der zwar gewalttätig war, seine Gewalt aber nie gegen Unbeteiligte richtete; als jemanden, der keine Kompromisse machte und im Zweifel erst einmal zuschlug.
Dass der Autor selbst Ziel von Drohungen des Zuhälters war, nimmt er seinem Kiez-Kumpel nicht übel, sondern schiebt es darauf, dass „Tommy mal wieder Adrenalin-Überschuss hatte“.
Wer Nachrufe auf Thomas Born liest, bekommt das Gefühl, er habe es mit einem Helden zu tun. Das Wort „Zuhälter“ fällt selten. Als „Kiez-Urgestein“ bezeichnen ihn die einen (NDR), als „zentralen Chronisten des Hamburger Rotlichtgeschäfts“ die anderen (Spiegel Online).
Nun liegt das Urgestein, gestorben letzte Woche an einem Herzinfarkt, in einem hellen Sarg, auf dem sich weiße Rosen türmen. Üppige Kränze schmücken die blau beleuchtete Bestattungshalle. Am Fuß des Podests, auf dem der Sarg liegt, lehnt ein Herz aus roten Rosen. Auf einer Schleife steht: „Du wirst immer in unseren Herzen sein“.
Wolf und Lamm zugleich
Klaviermusik erfüllt die Trauerhalle, als die Türsteher, Rocker und Ex-Zuhälter auf den Kirchenbänken Platz nehmen. Vicky Leandros singt „Ich liebe das Leben“. Danach kehrt Ruhe ein. Die Grabrednerin betritt die Kanzel. „Ich möchte mit einem Gedicht beginnen“, sagt Heidrun Baginski. Ihre adrette Erscheinung mit Perlenkette und schwarz gerandeter Lesebrille fällt etwas aus dem Rahmen mit den Koberern und Boxern, die ihr jetzt lauschen.
„Weil du nicht bist, wie alle anderen“, heißt das Gedicht, das sie vorträgt, und es vergleicht seinen Adressaten, den Verstorbenen, mit einem Wolf und einem Lamm zugleich. „Thomas Born“, sagt die Rednerin, „kann man ihm gerecht werden?“ Sie glaube nicht, antwortet sie sich selbst. Dann erzählt sie von einem Leben der Extreme, von jemandem, der aus dem Vollen schöpfte, der mutig und eigenwillig war, aber auch aufbrausend und laut – so laut, dass manche gar nicht wussten, wie leise er auch sein konnte.
„Natürlich gab es viele Frauen in seinem Leben“, fährt Baginski fort – „bei so einem Mann“. Die Mütter seiner beiden Kinder und auch seine letzte Frau Susanne seien aber trotzdem etwas ganz Besonderes in seinem Leben gewesen. Dann redet sie von Borns Zeit als Fallschirmspringer bei der Bundeswehr und von seinen sportlichen Fähigkeiten. Ein Handy klingelt. Irgendwie nimmt man der Rednerin nicht ab, dass sie eine Vorstellung davon hat, wie Thomas Born sein Geld verdient hat.
Szenenwechsel: Eines beliebigen Freitagvorabends in der Friedrichstraße auf St. Pauli. Die Friedrichstraße verbindet die Davidstraße mit dem Hans-Albers-Platz – die beiden Straßen, an denen jeden Abend um Punkt acht viele junge Frauen stehen und für nicht ganz so junge Männer mit großen Muskeln anschaffen gehen. Um Punkt acht gehen auch die Fenster im ersten Stock der umliegenden Häuser auf: Glatzköpfige Stiernacken mit 81-er, Eisernem-Kreuz- oder Totenkopf-Tattoos erscheinen in den Fenstern. Sie tragen Rocker- oder Nazi-Symbolik, gehören zur Hells-Angels- oder Marek-Gang, je nachdem, an welcher Stelle die dazugehörigen Frauen stehen.
In einer Kneipe neben dem Fast-Food-Laden „Be Fried“ gibt es Stress. Ein paar besoffene Rugby-Spieler haben sich mit dem Türsteher angelegt. Es dauert keine Minute, da liegen zwei Rugby-Spieler am Boden, niedergestreckt von der Faust einer der Glatzen, die jetzt nicht mehr oben am Fenster, sondern unten auf der Straße stehen und nicht dulden, was ihnen nicht passt. Ungerührt stehen sie da, während die restlichen Rugby-Spieler ihre Freunde vom Kopfsteinpflaster aufsammeln.
Zwei Polizisten kommen von der Davidwache herübergeschlendert. Gab es hier Stress? Nee, keinen Stress, alles normal. Na dann – schönen Abend noch.
In der Fritz-Schumacher-Halle des Ohlsdorfer Friedhofs nähert sich die Trauerfeier dem Ende. „Hamburg verliert eine Lichtgestalt“, sagt die Rednerin und spricht davon, dass der Kiez nicht mehr das Gleiche sei. Die Zeit der echten Gangs sei vorüber. „Wir hatten gerade noch Pläne“, singt Ina Müller vom Band. Eine Frau in der ersten Reihe weint. Die Dame neben ihr legt den Arm um sie und trocknet sich selbst die Tränen mit einem schwarzen Tuch.
Als die Musik vorbei ist, kommt Baginski zum letzten Teil ihrer Rede. „Am Schluss stellt sich immer eine Frage“, sagt sie: „Habe ich mein Leben gelebt, meine Zeit genutzt?“ Für Thomas Born würde sie diese Frage mit Ja beantworten. Nicht wie viele Jahre man gelebt habe, sondern ob man sein Leben gespürt habe, sei, worauf es ankomme, sagt sie. Und das habe er, vor allem, wenn er mit seiner Familie zusammengewesen sei.
Die Flügeltüren der Trauerhalle öffnen sich, acht Sargträger schreiten durch den Gang nach vorn und knien neben dem Eichensarg nieder. Der Saal ist ganz still. Leise erklingt der Anfang von Lionel Richies „All Night Long“. „Fiesta forever“, singt er, fast flüsternd. Kaum merklich wippt ein breitkreuziger Türsteher mit Pferdeschwanz seinen Kopf zur Musik. Die Sargträger schreiten samt Sarg nach draußen, die Trauergäste erheben sich und folgen schweigend.
Auf dem Platz vor der Halle löst sich die gedrückte Stimmung. Die Presse drängt sich wieder um die Kiezstars, letzte Statements werden in Kameras gegeben. Manche stehen verloren herum. „Dann hat sich das ja auch erledigt“, sagt ein Hüne mit langen Haaren und dunkelblauem Jackett. Er steckt die Finger mit den Totenkopfringen in die Hosentaschen und wirft die Haare zurück. „Komm Kuddel, wir gehen!“, ruft er über die Schulter. Erste Harleys knattern davon.
Auf der gegenüberliegenden Seite des Weges vor der Fritz-Schumacher-Halle haben sich Schaulustige versammelt. RadfahrerInnen und SpaziergängerInnen stehen da und gaffen auf die skurril anmutende Trauergemeinde. Schwarze BMWs mit getönten Scheiben rollen langsam vom Friedhofsparkplatz.
Das Lachen im Halse
Zurück auf St. Pauli. Vor einem Kaffee sitzen AnwohnerInnen in der Abendsonne und trinken Milchkaffee. Ob hier noch frei ist? Zwei Muskelpakete in schwarzen Anzügen wollen sich neben mich setzen. Klar, aber nicht in meiner Sonne, erwidere ich. „Du bist schon viel zu lange im Schatten Baby“, sagt der Breitere von beiden und klopft mir grinsend auf die Schulter. Ich lache, mehr aus Überraschung als dass es mir witzig vorkommt.
Natürlich kommen sie auch gerade von der Beerdigung. Und wie fanden sie die Trauerfeier? „Sagen wir mal so“, sagt der eine, nennen wir ihn Pablo. „Es ist allen klar geworden, dass es jeden von uns plötzlich treffen kann.“ Pablo hat bei Thomas Born geboxt, hat ihn noch kurz vor seinem Tod gesehen.
Er löffelt sein Eis aus einem Pappbecher. Sicherlich sei Born nicht besonders zurückhaltend oder abstinent gewesen. Aber wer ist das schon?! „Ich jedenfalls nicht“, lacht er. „Ey, hol dir mal einen Kaffee“, ruft er seinem Kumpel zu, der sein Eis schon verspeist hat. „So ohne alles sitzt du hier, das geht doch nicht! Ich lad‘ dich ein heute!“
Dann fragt er mich noch, womit ich mich über Wasser halte und was ich so verdiene. Ich nenne ihm eine Zahl. „Ab jetzt die Hälfte“, ruft er, „die andere Hälfte geht an mich!“ Sehr witzig. Man müsse sein Leben einfach leben, sagt Pablo, es gebe ja kein anderes– ob ich auch einen Kaffee wolle? Nee, danke, ich muss gleich los. „Waas? Wann du losgehst, entscheiden immer noch wir!“, sagt er und haut mir lachend auf die Schulter.
Ich lache auch. In einer anderen Situation wäre das gar zum Lachen. Wir verabschieden uns. „Zeit für dich zu gehen, ne?!“, witzelt der Kiezkollege weiter. Zeit zu gehen ist es für alle irgendwann mal, denke ich, selbst für Rotlichthelden und Kiezlegenden. Und das ist auch ganz gut so.
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