: Zuerst kommt das Defizit
Ackermänner haben die „Mahagonny“-Regel: „Du darfst alles, solange du Geld hast“ perfektioniert. Die Brecht/Weill-Oper ist hochaktuell. Doch in Hagen inszeniert der Intendant fürs Abonnement
VON PETER ORTMANN
Über der armen Stadt Hagen ist der Mond von Alabama aufgegangen. Ein frommer Wunsch schlägt ihm entgegen. „Auf nach Mahagonny“. Dort hat der Mond manchmal die Farbe des Geldes, und das hat die Ruhrgebietsstadt bitter nötig. Ihr Theater auch. Es soll in Grund und Boden gespart werden. Als Spardosenbill kommt demnächst Norbert Hilchenbach, der die Städtischen Bühnen Osnabrück verließ – wegen Querelen um eine anständige Finanzierung dort. Das verspricht für die Zukunft kulturpolitische Dialektik pur.
Jetzt macht am Tor zum Sauerland der scheidende Intendant Rainer Friedemann erst einmal aus der Not eine Tugend und zeigt das Bertolt Brechtsche-Opernszenario über den Aufstieg und Fall einer Stadt. Sehr sinnig, doch wenig sinnlich. Seine Inszenierung trifft lediglich beim demografischen Faktor ins Schwarze: Das Abonnementspublikum wird immer älter. Mit viel Applaus und Jubel bedankte sich das Premieren-Silbermeer und diskutierte anschließend das späte Abendbrot. Denn „Erstens kommt das Fressen“, das Danach ist nicht mehr so wichtig. Das Davor war müde unterhaltsam, mehr nicht. Man hätte auch Fernsehen können. „Denn das ist das Spiegelbild der Gesellschaft“, erklärt TV-Star Herbert Feuerstein den Damen und Herren in Hagen beim süffigen Intro in die epische Oper. „Warm up“ nennt man das heute, was die rund 150 Zentimeter im Frack da auf der schrägen Bühne fabrizieren. „Wenn Sie mich mal im TV gesehen haben, bitte ich das zu entschuldigen.“ Ja was denn nun? MAD-Herbert kriegt doch bald im Fernsehen mit Harald Schmidt wieder eine neue Show. Was ist mit der Quote? Egal. Die meisten Damen und Herren, die zwar die „Unverbesserlichen“ schwarzweiss noch live gesehen und so ein schmuddeliges MAD-Heft nie gelesen haben, applaudieren gerührt. Feuerstein führt in den ersten Akt der Oper ein. Dort sei er der Vertreter des Bildungsbürgertums. Diesen Part gibt es in Brechts Libretto nicht. Natürlich nicht.
Die bekannte Story um den „Aufstieg und Fall der Stadt Mahagonny“ spult sich ab. In einem Schräge-Straße-Bühnenbild – mit innovativem Laser. Begbick, Fatty und der Dreieinigkeitsmoses können nicht mehr weiter. Vor ihnen die Wüste, hinter ihnen die Constabler. Was macht man da? Genau, man gründet eine Stadt, die Netzestadt, genannt Mahagonny, in der Unzufriedene aller Länder ein ruhiges Zuhause finden sollen. Auch vier Holzfäller aus Alaska wollen sesshaft werden und ihr Geld mit Frauen und Whisky verprassen. Als ein verheerender Hurrikan kommt, erkennt Jim Mahoney den Sinn des Lebens: Du darfst. Ab da nimmt der Untergang seinen Lauf, untermalt von der nicht gerade leichten Partitur von Kurt Weill. Das Orchester unter der Leitung von Steffen Müller-Gabriel klemmte technisch ein wenig hinter den Bühnenwänden, was den etwas breiigen Klang entschuldigen könnte. Allerdings fehlten die harten Konturen auch in den Liedern und ihren Interpreten. Dafür glänzte der Chor zumindest als ausgezeichnete Laienschauspieler-Schar beim Popcorn-Werfen.
Wie immer versinkt die Stadt am Schluss im Chaos. Herbert Feuerstein, jetzt als „Gott“, wird verscheucht. „Bitte hört auf, bevor es zu spät ist“, ruft er noch. Und: „Ich spiele jetzt nicht mehr mit.“ Das Bildungsbürgertum hat die Botschaft im Subtext verstanden und ist zufrieden, doch gehörte Feuersteins Text eigentlich vor die Theater-Pause. Chance vertan am Tor zum Sauerland. So wird das nichts mit Europäischer Kulturhauptstadt.
Nächste Aufführung:Donnerstag, 18.1., 19:30 UhrInfos: 02331-2073218