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Archiv-Artikel

Zündstoff fürs Lehrerzimmer

Hamburgs Grundschullehrer arbeiten unterschiedlich gut: Das ist das Ergebnis der gestern vorgelegten KESS-Studie, die jetzt an die Schulen geht. 638 Klassen mit 14.000 Schülern wurden getestet und der soziale Hintergrund der Familien gleich mit

von KAIJA KUTTER

Welche Grundschule Hamburgs die beste und welche die schlechteste ist, wurde nicht bekannt gegeben. Dafür aber, „jede Menge Zündstoff für Hamburgs Lehrerzimmer“, wie Wilfried Bos, Leiter der Kess-Studie („Kompetenzen und Einstellungen von Schülerinnen und Schülern“) gestern erklärte. Hamburg sei „Vorreiter“, was die empirische Schulforschung beträfe, sagte der Professor, der von seinem Büro an der Hamburger Uni aus die internatiale Vergleichstudie für Grundschulen, IGLU, leitete.

Doch im Unterschied zu dieser Großstudie bietet die kleine Schwester „Kess“ jetzt die Möglichkeit, jeder einzelnen der 263 beteiligten Hamburger Grundschulen eine Art Zeugnis auszustellen: Getestet wurden im Juni 2003 die Kompetenzen von rund 14.000 Viertklässlern in den Fächern Mathematik, Englisch, in „naturbezogenem Lernen“, Lesen und Rechtschreibung. Die Studie schlüsselt auf, wie viele Schüler der Klasse im oberen, im mittleren und im unteren Kompetenzbereich liegen und vergleicht dies mit einem Durchschnittswert aller Schüler.

Nun ist es freilich kein so großes Kunststück, Schüler, die ohnehin von Zuhause gefördert werden, auf einen guten Stand zu bringen. Kess erhob deshalb in einem 20-seitigen Fragebogen sozialen Status, Bildungsnähe, Beruf, Ausbildung und Migrationshintergrund der Familien. Schneidet nun eine Klasse beim Fach „Lesen“ eigentlich gut ab, weil nur 20 Prozent der Schüler in der untersten Kompetenzstufe liegen, relativiert sich dies durch die dritte Säule, in der die Leistung einer „ähnlich zusammengesetzten Klasse“ aufgeführt ist, die besser abschneidet. Umgekehrt kann einer Klasse mit Kindern aus bildungsfernen Familien durch die dritte Säule ein guter Unterricht nachgesagt werden, auch wenn mehr als 20 Prozent im unteren Bereich liegen. Die Aufsplitterung der 638 Klassen war so fein, dass es nur vier „ähnliche“ Klassen gab.

Die Ergebnisse böten sich „im Prinzip“ für ein landesweites Schulranking an. Doch Bos warnt davor, weil damit „Porzellan zerschlagen“ würde. Deutschland habe im Unterschied zu Nachbarländern wie Schweden noch zu wenig Erfahrung mit Vergleichsstudien. So bestünde die Gefahr, dass geringe Abweichungen falsch gedeutet würden.

Deshalb sollen die Ergebnisse nur schulintern veröffentlicht werden. Zwar sind die getesteten Vierklässler inzwischen in weiterführenden Schulen. „Die Schulleiter sind aber angewiesen, die Elternräte zu informieren“, erklärt Jan Poerschke vom Referat Schulforschung der Bildungsbehörde. Denkbar ist daher schon, dass die Ergebnisse durchsickern und sich lokale Rankings ergeben.

Doch laut Bos steht die akute Auseinandersetzung jetzt in den Lehrerkonferenzen an. So hatte fast ein Drittel der Schulen zwischen ihren Klassen mehr als 15 Punkte Abweichung auf der Skala, die auf 100 Punkte geeicht war. Der größte Unterschied zwischen zwei Pädagogen einer Schule betrug gar 33,95 Punkte, was fast ein Schuljahr ausmacht. „Die Schulaufsicht wird mit den Schulen Gespräche führen, um über die Ergebnisse zu beraten“, erklärt Poerschke. Erforscht werden soll aber auch, wie die guten Schulen arbeiten.

Laut Behördensprecher Alexander Luckow soll Kess auch Einfluß auf Ressourcen haben. So wolle die Behörde prüfen, ob Mittel für Sprach- und Leseförderung „auch dort ankommen, wo sie ankommen sollen“. Klingt wie eine kesse Drohung.