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Archiv-Artikel

Zündstoff für die Opec

Wer bestimmt nach dem Ende des Irakkriegs die Ölpolitik? Das wird Auswirkungen auf Klima und Weltwirtschaft haben

„Die USA haben nicht die freie Wahl, was sie mit Iraks Ölförderung machen wollen“

von BEATE WILLMS

Die kurzzeitige Talfahrt des Ölpreises ist vorbei. Je deutlicher wird, dass der Krieg im Irak kein Spaziergang ist, desto mehr tendieren die Notierungen an den Rohstoffmärkten wieder in Richtung der Vorkriegshöhen. Dabei werden die Mitglieder der Organisation Erdöl exportierender Länder (Opec) nicht müde zu beteuern, dass „Öl genug auf dem Markt“ ist. Ihre Sorge ist eine ganz andere: Opec-Präsident Abdullah al-Attijah, Ölminister von Katar, befürchtet nach Kriegsende eine „Überschwemmung des Marktes“, die zu einem drastischen Preissturz führen könnte. Das ist nach Einschätzung des venezolanischen Vizepräsidenten José Vicente Rangel nicht alles: Er glaubt, dass die USA der Opec nach einem Sieg Konkurrenz machen und die Organisation damit zerschlagen. Auch der Chef des London Centre for Global Energy Studies (CGES), Ahmed Saki al-Jamani, sieht ein Ende der Opec voraus.

Ausgangspunkt für diese Überlegungen ist das Wunschszenario der USA, die die Fördermengen im Irak nach einem Sieg kräftig ausweiten wollen. Damit würden sie nicht nur das Kräfteverhältnis innerhalb der Opec verändern, sondern auch die Motivation der anderen Mitgliedsländer, sich an die eigenen Regeln zu halten, empfindlich verringern. Ein neuer Konkurrenzkampf würde entbrennen. Kurzfristige Folge: Mehrproduktion und fallende Preise.

Während al-Jamani das zwar als „katastrophal“ für die Region und die anderen Opec-Länder, aber als „erfreulich für die westlichen Konsumenten“ bezeichnet, sehen kritischere Ökonomen auch für den Rest der Welt ein Problem. „Bei niedrigen Ölpreisen sinkt der Druck, Umweltpolitik zu ökonomisieren“, sagt Mohssen Massarrat, Professor für Politik und Wirtschaft an der Universität Osnabrück. Sie kurbelten zwar die Konjunktur an, verführten aber gleichzeitig zu hohem Energieverbrauch. Auch der Leiter der Forschungsgruppe Globale Fragen am Deutschen Institut für Internationale Politik und Sicherheit (SWP) in Berlin, Friedemann Müller, erklärt: „Die Folgen für die globale Umwelt wären katastrophal.“

Der 1960 gegründeten Opec, die derzeit rund 40 Prozent der Weltölförderung kontrolliert, gehören Saudi-Arabien, der Irak, dessen Mitgliedschaft derzeit ruht, Algerien, Indonesien, Iran, Katar, Kuwait, Libyen, Nigeria, die Vereinigten Arabischen Emirate und Venezuela an. Seit 1999 betreiben sie eine einigermaßen geschlossene Politik, bei der trotz wechselnder offizieller Präsidentschaften der weltgrößte Öllieferant und Ölreserveninhaber Saudi-Arabien das Sagen hat. Kernstück ist ein angestrebter Ölpreiskorridor von 22 bis 28 US-Dollar pro Barrel – genug, um die Renditen zu sichern, aber weniger, als der Großteil der Konkurrenz bräuchte, um eigene Ölvorräte rentabel fördern zu können.

Der Irak spielt dabei bislang eine eher kleine Rolle. Obwohl er über die zweitgrößten konventionellen Ölreserven der Welt verfügt, förderte er vor dem Krieg gerade mal 2,5 Millionen Barrel täglich, rund 2 Prozent der weltweiten Produktion. Laut einer CGES-Studie könnten bis 2005/6 auch 3,5 Millionen Barrel, bis 2012 sogar bis zu 8 Millionen Barrel pro Tag gefördert werden. „Theoretisch ist das denkbar“, sagt Experte Massarrat. Schließlich entsprächen niedrige Ölpreise einem energiepolitischen Ziel der USA – auch und gerade im Krieg: „Das Interesse der Amerikaner gilt ihrer Energiebilanz.“ Zwar haben die USA eigenes Öl – etwa in Alaska und Texas – und wollen die Devisenzahlung für Ölimporte in Grenzen halten, aber sie sind auch die weltgrößten Energieverbraucher. Und 10 Dollar weniger für ein Barrel Öl bedeuten für das Land immerhin 40 Milliarden Dollar weniger an Energiekosten im Jahr. Massarrat glaubt, dass das genug ist, damit „der US-Regierung die Partikularinteressen der im eigenen Land fördernden Ölkonzerne egal“ sind. Ein zusätzliches Argument sei, dass die eigenen beschränkten Reserven – auch für weitere Kriegs- oder Katastrophenfälle – länger reichten, wenn zwischenzeitlich billiges Importöl hinzugekauft werden kann.

SWP-Ökonom Müller dagegen glaubt zwar auch, dass ein unabgesprochenes Ausscheren des Irak aus der Quotenregelung innerhalb der Opec „wie Sprengstoff wirken könnte“, aber er schätzt die amerikanischen Interessen anders ein: „Die USA sind nicht so dumm, den Preis so weit senken zu wollen.“ Zudem passe ihnen die Opec mit ihrer derzeitigen Politik als einer Art Weltölbehörde insgesamt gut in den Kram. Mit ihren Korridor- und Quotenregelungen habe sie den USA die Arbeit abgenommen, die Preisstabilität zu gewährleisten, die das Land auch zur Absicherung des Dollar dringend braucht. „Und so leicht wird Washington nicht über die Interessen der eigenen Ölindustrie hinweggehen“, meint Müller. Den in Alaska und Texas aktiven Mineralölkonzernen mit Produktionskosten von 14 bis 17 Dollar pro Barrel verschaffe das Opec-Preisband eine sichere Gewinngrundlage. Zudem kann sich Müller nicht vorstellen, dass die neue irakische Regierung, die das Geld aus dem Ölverkauf zum Wiederaufbau brauchen wird, sich mit allzu niedrigen Ölpreisen abfinden würde. Schon bei einem durchschnittlichen Preis von 25 Dollar blieben pro Barrel gerade mal 11 Dollar übrig, die der Staat abschöpfen könnte. „Zusammengerechnet ist das sehr wenig für den Wiederaufbau.“

Tatsächlich ist es vermutlich egal, was von beiden die USA lieber wollen. „Sie werden nicht die freie Wahl haben, was sie mit der irakischen Ölförderung machen wollen“, so Müller. Auch nach Ende des Krieges dürfte das Potenzial nicht einfach zu erschließen sein. Mit den maroden Anlagen und der kaputten Infrastruktur dürfte eine Steigerung der Förderung, wie sie das CGES für möglich hält, nur als „optimale Variante“ gelten: Um die Tagesproduktion auf 5 Millionen Barrel anzuheben, sind 40 Milliarden Dollar an Investitionen nötig, eine Geldmenge, die weder nach Ansicht von Müller noch von Massarrat kurz- oder mittelfristig zu mobilisieren ist. Hintergrund sind die politischen und ökonomischen Risiken: Mindestens während des Wiederaufbaus werden Korruption, unklare Steuergesetzgebung und die Gefahr terroristischer Anschläge die Unternehmen zur Vorsicht zwingen. Hinzu kommt die mangelnde Rechtsstaatlichkeit. Müller: „Es ist ganz unwahrscheinlich, dass schnell ein transparentes Rechtssystem mit Gerichten, vor denen die Unternehmen klagen können, umgesetzt wird.“

Wahrscheinlicher ist für ihn deshalb, dass der Irak – auch unter der Ägide der USA – nach Kriegsende wieder in die Opec zurückkehrt und dort „maßvolle Quotenerhöhungen“ auszuhandeln versucht – allerdings auch das nur, wenn die USA relativ schnell zu ihrem Kriegserfolg kommen. Die eigentliche Gefahr für den Weltölmarkt, da sind sich Müller und Massarrat mit den meisten anderen Ökonomen einig, geht davon aus, dass die Kämpfe länger dauern, womöglich sogar in einen Guerillakrieg übergehen und die gesamte Golfregion destabilisieren. Dann wären nicht nur die Ölproduktion und der Ölhandel im Irak, sondern auch in den angrenzenden Ländern eingeschränkt, wenn nicht gar gestoppt. Und dann wäre der Ölpreis mit oder ohne Opec kaum noch zu regulieren.