■ Zu den jüngsten Vorwürfen gegen Manfred Stolpe: Rücktritt wäre 'ne prima Alternative
Kommentatoren in Zeitungen machen über kurz oder lang die Erfahrung, daß die Erfüllung einer Forderung durch ihre monotone Wiederholung nicht wahrscheinlicher wird – auf jeden Fall, wenn ihr Adressat eine so harthörige Person wie der brandenburgische Ministerpräsident Manfred Stolpe ist und die Forderung schlicht „Rücktritt“ lautet. Doch trotz minimalster Erfolgsaussichten muß sich Stolpe alias IM „Sekretär“ erneut die vorsichtige Anfrage gefallen lassen, ob der Amtserhalt auch den Preis des unaufhaltsamen Verfalls der Glaubwürdigkeit wert ist.
Die neuen Dokumente, die „Spiegel-TV“ jetzt vorgelegt hat, enthalten starke Indizien dafür, daß der Ministerpräsident Brandenburgs vor dem Untersuchungsausschuß, der seine Stasi-Kontakte aufklären soll, die Unwahrheit gesagt haben könnte. Einer Stasi- Liste ist zu entnehmen, daß MfS-Offiziere just an dem Tag, an dem Stolpe nach den Angaben des Führungsoffiziers Roßberg seinen Orden bekam, ein konspiratives Treffen mit ihrem IM „Sekretär“ durchgeführt hatten. Demnach wäre Stolpes Version, derzufolge er den Orden anderswo und nicht von einem Stasi-Offizier erhalten habe, stark in Zweifel gestellt. In den nächsten Tagen wird sich herausstellen, ob die Dokumente echt sind und ob sich Stolpe der falschen uneidlichen Aussage schuldig gemacht hat – immerhin einer Straftat, die mit einer Freiheitsstrafe von drei Monaten bis fünf Jahren zu ahnden ist.
Die entscheidende Frage, ob die Stasi Stolpe in die evangelische Kirche entsandt hat oder ob die Kirchenführung Stolpe damit beauftragte, mit der allgegenwärtigen Stasi für eine friedliche Koexistenz notwendige Kontakte aufzunehmen, wird wohl nicht mehr geklärt werden. Doch inzwischen ist die Art und Weise, mit der Stolpe auf die immer neuen Vorwürfe reagiert, skandalös genug. Wie die meisten Politiker vor Untersuchungsausschüssen befällt ihn notorisch Amnesie; gewöhnlich gestand er nur dann etwas ein, wenn er es nicht mehr leugnen konnte. Widerwillig und scheibchenweise äußerte er sich zu neuen Details, wenn Journalisten ihm keine andere Wahl mehr ließen. Neben Joachim Gauck und dessen Behörde, gegen die er unlängst einen Prozeß verlor, hat der Sozialdemokrat folgerichtig die Journalisten als seine Feinde ausgemacht. Gestern bezichtigte er sie pauschal des mit politischem Mißbrauch gepaarten Sensationsjournalismus.
Stolpe hält generell nichts von Rücktritten. Kurz nachdem die Nachrichtenagenturen schon den Rücktritt von Björn Engholm wegen der „Schubladenaffäre“ berichtet hatten, vermeldeten sie noch, daß Stolpe Engholm riet, sich nicht der Kampagne von Journalisten und Politikern zu beugen. Im Aussitzen hat Stolpe bereits Kohlsches Format bewiesen und wäre höchstens mit Waffengewalt aus seiner Staatskanzlei zu vertreiben – einer Methode, der wir hier beileibe nicht das Wort reden wollen. Beim größten Teil des brandenburgischen Wahlvolkes schadet ihm die Zähigkeit, mit der er sich an seinen Sessel klammert, nicht; im Gegenteil: ist doch da endlich ein Ostler, der sich nicht von der Wessi-Allzweckwaffe der Stasi-Vergangenheit niederstrecken läßt. Der einzige, der Stolpe von der Bürde seines Amtes und der alle Beteiligten quälenden Diskussion um seine Person befreien könnte, wäre der SPD-Koalitionspartner Bündnis 90. Die aus der Bürgerrechtsbewegung hervorgegangene Partei, die aus guten Gründen auf einer DDR-Vergangenheitsbewältigung beharrt, kann – sollte Stolpe tatsächlich die Unwahrheit gesagt haben – mit ihm nicht weiter den Kabinettstisch in Potsdam teilen. Michael Sontheimer
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