■ Zu den Wahlen im asiatischen Musterstadtstaat Singapur: Tapfer sich der Kanonen erwehrt
Selbst demokratisch gesinnte Politiker werden schwach, wenn sie an Singapur denken. In dem kleinen südostasiatischen Stadtstaat mit seinen 2,8 Millionen Menschen ist das Leben angenehm: Die Luft ist besser als in anderen Metropolen, die meisten Menschen leben in eigenen vier Wänden, der öffentliche Nahverkehr ist effizient, die Wirtschaft wächst und gedeiht. Die Bürger sind gebildet, fleißig und brav – und ihren Politikern dankbar. Auch wenn sie könnten, hätten die meisten Singapurer ihre Regierung nicht abgewählt, denn sie hat ihnen Wohlstand gebracht und ist zudem nicht so korrupt wie andere in der Region.
Warum also bedrohte Premierminister Goh Chok Tong vor den gestrigen Wahlen so aufgeregt die kleine und zersplitterte Opposition? Warum fürchtete er den Verlust einer Handvoll Mandate? Weshalb schoß er mit Kanonen auf Spatzen? Der 55jährige Goh ist Opfer seiner eigenen Propaganda geworden. Zu lange hat er sich und seine Partei als alleinige Garanten der Stabilität des Landes dargestellt.
Deshalb empfinden sie jede Stimme für die Opposition als persönliche Niederlage – und als grobe Undankbarkeit der Bürger. Als die Opposition in den letzten Monaten über die Verwendung öffentlicher Gelder, über Gesundheits- oder Wohnungsbaupolitik debattieren wollte – normale Themen eines Stadtstaates –, griff die Regierung auf ein erprobtes Druckmittel zurück: Sie drohte den Kontrahenten mit Verleumdungklagen und ruinösen Geldstrafen. Im Wahlkampf kündigte sie sogar an, die Bezirke widerspenstiger Wähler zu Slums verkommen zu lassen.
Singapurs Oppositionsparteien haben bei diesen Wahlen ihre schwachen Mittel listig eingesetzt: Ihre Kandidat traten nur dort an, wo sie realistische Chancen auf einen Abgeordnetenplatz sahen. Den von den Warnungen Gohs verängstigten Wählern erklärten sie behutsam, wozu mehr Opposition im Parlament gut sein könnte: Wenn die Regierung besser kontrolliert werde, könne sie ihre Aufgaben künftig besser erfüllen. Dieses wenig radikale Argument leuchtete selbst loyalen Bürgern ein.
Mit seiner scharfen Reaktion hat Premier Goh nur seine Furcht offenbart, das Volk könnte merken, daß die Stadt nicht sofort zum Sündenpfuhl wird, nur weil einige Oppositionelle mehr im Parlament sitzen. Das ist der große Erfolg der kleinen Opposition bei dieser Wahl in Singapur, auch wenn es nur wenige ihrer Kandidaten ins Parlament geschafft haben. Jutta Lietsch
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