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■ Zu den Seehoferschen Reformen für die SozialhilfeHüter der Haushaltslöcher

In den Tagen nach der Vorstellung der Seehofer-Pläne formierten sich die Reaktionen nur zögerlich auf den bekannten Linien: Wohlfahrtsverbände und Opposition auf der Seite der Armen, Bundesregierung und Wirtschaft gegen den „Sozialmißbrauch“. Inzwischen sind die Reihen einigermaßen fest geschlossen, doch die Aufregung ist verhaltener, es braucht mehr Worte, die Kritik zu formulieren. Wird Horst Seehofer seinem Ruf, die „Wunderwaffe des Kanzlers“ für schwierige Reformvorhaben zu sein, erneut gerecht?

Die „Eckpunkte für eine Sozialhilfereform“ umfassen eine Vielzahl von Vorhaben, die nicht alle deshalb falsch sind, weil sie von Seehofer vorgelegt werden. Die Angleichung der Mehrbedarfszuschläge in Ostdeutschland an die im Westen ist ebenso lange überfällig wie die Erhöhung der Entlohnung in Werkstätten für Behinderte. Ebenso steht die verbindliche Verpflichtung der Übernahme von Mietschulden zur Vermeidung von Obdachlosigkeit schon lange auf der Agenda von Fachleuten und Initiativen. Mit einer Verpflichtung der Sozialversicherungsträger, Vorschüsse für Rente oder Arbeitslosengeld zu leisten, würde in Zukunft jährlich einigen hunderttausend Menschen der zwischenzeitliche Gang zum Sozialamt erspart.

Diese „Positivliste“ erschwert den lärmenden Protest. Womit der erste Punkt an Seehofer geht. Aber seine Operation geht weit über die genannten, offensichtlich vernünftigen Vorschläge hinaus.

Die Frage, für wen die Zahler zu geben bereit sind, ist so alt wie die Armut. Doch die Bundesregierung und andere interessierte Beteiligte haben in den letzten Jahren hart daran gearbeitet, den Boden für eine abnehmende Bereitschaft zur Unterstützung der Armen zu bestellen. In einer Gesellschaft, die ungebrochen dem Mythos huldigt, nur Erwerbsarbeit sei eine Leistung, stößt das Dogma des Lohnabstandsgebots auf breite Zustimmung. Statt von den Versäumnissen in Steuer- und Familienpolitik zu sprechen, geht es um angeblich zu hohe Sozialhilfe.

Die Bundesregierung verkehrt die Gerechtigkeitsdebatte in ihr absurdes Gegenteil, um sich finanzpolitisch Luft zu verschaffen. Da das Bundesverfassungsgericht die Höhe der Sozialhilfe als Maßstab für das steuerlich freizustellende Existenzminimum gesetzt hat, haben die Hüter der Haushaltslöcher ein starkes Interesse an einem niedrigen Sozialhilfesatz. So wird innerhalb kürzester Zeit das von Seehofer jetzt noch anerkannte Bedarfsdeckungsprinzip im Konflikt mit dem Lohnabstandsgebot den kürzeren ziehen.

Im Ergebnis führt dieses Manöver die Konzeption der Sozialhilfe, ein Existenzminimum zu sichern, ad absurdum: das mindeste, das die Gesellschaft gewährt, würde in denselben Abwärtskreislauf einbezogen werden, in dem sich die anderen Einkommen bewegen. Seehofer verkauft diesen Mechanismus als „externen Steuerungsmechanismus“. Das technokratische Mäntelchen kann es aber nicht verhüllen: Auch die Anbindung der Regelsätze an die Einkommensentwicklung ist eine politische Entscheidung – für einen Abschied von der gesellschaftlichen Verpflichtung, allen Bürgerinnen und Bürgern ein Minimum zur Führung eines anständigen Lebens zu garantieren.

Die Debatte um die „Wiedereingliederung von Sozialhilfeempfängern“ zeigt ein ähnliches Muster in der Verdrehung von Ursache und Wirkung. Wie kann es kommen, daß in einer Gesellschaft, die seit Jahren über millionenfache Erwerbslosigkeit stöhnt, keiner lacht, wenn Seehofer die Sozialhilfeempfänger zur Arbeit zwingen will? Wo soll sie denn herkommen? Die Kommunen haben bereits den Kopf geschüttelt, ihnen sind die Beschäftigungsprogramme für Sozialhilfeempfänger zu kostspielig. Jahre des Lebens mit der Erwerbslosigkeit als Normalfall haben offenbar nichts daran geändert, daß die Erwerbstätigen den SozialhilfeempfängerInnen ihre angebliche Privilegierung durch Nichtstun neiden.

Dieser Ausgangspunkt macht eine Umkehrung der Beweislast und der Bringschuld so schwierig. Die positiven Ansätze, die in den Seehoferschen Vorschlägen für eine engere Verbindung von Sozialhilfebezug und Arbeitsmarktpolitik liegen könnten, verschwinden hinter der Keule des mittels Leistungskürzung durchgesetzten Arbeitszwangs. Sie wären nur dann ein ernsthaftes Angebot, stünden sie in einer politischen Gesamtkonzeption, die öffentlich geförderte Beschäftigung als unerläßliche Normalität anerkennt.

Die Seehoferschen Vorschläge beruhen auf der geschickten Verbindung zweier unterschiedlicher Armutsbilder. Zum einen beruft er sich auf das vormoderne Bild der für ihre Armut selbst verantwortlichen Armen, die folgerichtig auch nicht Rechtsinhaber, sondern Gnadenempfänger sind. Dieses Bild nimmt er auf, indem er demütigende „Gemeinschaftsarbeiten“ verordnen, Widerstrebenden die „Stütze“ streichen und überhaupt die SozialhilfeempfängerInnen kurzhalten will. Demgegenüber steht ein zeitgemäßes Verständnis von Armut als einem sozialen Risiko wie Arbeitslosigkeit, Alter, Krankheit auch. Ein Risiko, das als in bestimmten biographischen Phasen auftretende Erfahrung inzwischen bis in die Mittelschichten vorgedrungen ist. Bei Seehofer ist die Verbindung mit dem modernen Verständnis allenfalls symbolisch, wenn Disziplinarmaßnahmen wie Parksäubern und Altkleidersammeln als „Wiedereingliederungsmaßnahmen“ in den Arbeitsmarkt verkauft werden.

Diese Vermischung aufzudröseln ist der erste Schritt zu einer Gegenstrategie. Danach steht nicht mehr die Disziplinierung der Armen im Mittelpunkt des politischen Handelns, sondern eine Reform der sozialen Sicherung, so daß sie „armutsfest“ wird. Armut als gesellschaftliche Alltagserfahrung ist mit weitverbreiteten Lebenslagen verbunden: Alleinerziehen, häufiger Berufswechsel, Langzeitarbeitslosigkeit. Auf diese sozialen Risiken ist das Netz der sozialen Sicherung auszurichten. Ganz im Gegensatz zur von Seehofer vorgeschlagenen Entpolitisierung erfordert dies eine energische politische Einmischung. Letztlich geht es um das Selbstbild der Gesellschaft und die Erkenntnis, daß in den der Sozialhilfe vorgelagerten Sphären der Reformbedarf entstanden ist. Dreh- und Angelpunkt einer solchen Reform muß eine Grundsicherung sein, die in die bestehenden sozialen Sicherungssysteme eingebaut wird. So wird die Diskussion vom armenpolizeilichen Kopf auf die bürgerrechtlichen Füße gestellt. Die politischen Energien auf eine solche Modernisierung des Sozialstaats zu richten ist vielversprechender, als eine Reform der Sozialhilfe für die „größte Sozialreform der Legislaturperiode“ (Ulf Fink) zu halten. Andrea Fischer

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