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■ Zu den Kommunalwahlen in FrankreichNiederlage am Tag des Siegs

An den Urnen gemessen, hätte Edouard Balladur gestern allen Grund zur Freude gehabt. Die Kantonalwahlen bestätigten im Prinzip die stabile Mehrheit des konservativen französischen Regierungschefs. Daran änderte auch die Tatsache nichts, daß gleichzeitig die französische Linke ihren Tiefstand von den Parlamentswahlen von 1993 überwand – die SozialistInnen wieder stärkste Partei wurden und teilweise sogar wieder zur Zusammenarbeit mit den KommunistInnen zurückfanden.

Doch Balladur feierte nicht. Er machte am Tag nach dem Wahlsieg einen längst überfälligen – wenngleich nicht ausreichenden – Rückzieher: Er setzte die Dekrete über Niedriglöhne für jugendliche Arbeitslose für eine Woche außer Kraft. Damit gestand er den schwersten und möglicherweise auch folgenreichsten Fehler seiner Amtszeit ein.

Auf den Tag genau ein Jahr ist es heute her, daß Edouard Balladur Premierminister wurde. Er trat sein Amt an, kurz nachdem Frankreich den dreimillionsten Arbeitslosen registriert hatte. Im Zentrum seiner Vorhaben stand der Ausstieg aus der Krise. Zwölf Monate später steht die französische Wirtschaft noch schlechter da: Kaufkraft und Lebensstandard sind weiter gesunken, ganze Sektoren wie die Landwirtschaft und die Fischerei siechen dahin, die Arbeitslosigkeit ist gestiegen, und das soziale Klima ist explosiv wie nie zuvor in der Fünften Republik.

Die Kantonalwahlen haben gezeigt, daß Frankreich heute ein geteiltes Land ist: Die Trennungslinie verläuft zwischen dem Frankreich, das wählt, und einem anderen, das protestiert und den Glauben in die Institutionen verloren hat. Die Mehrheit der BürgerInnen beteiligte sich nicht an den Wahlen: Zehn Prozent – darunter auffallend viele Jugendliche – stehen überhaupt nicht auf den Wahllisten, von den übrigen gingen nur 58 Prozent zu den Urnen, weit weniger als bei den Kantonalwahlen der letzten Jahrzehnte.

An der Straße gemessen, hat Balladur allen Grund zur Sorge. Die Jugendlichen, die seit vier Wochen für die restlose Streichung der Niedriglöhne protestieren, haben längst Unterstützung von älteren Arbeitslosen und Obdachlosen bekommen. Das Verständnis der schon vor Monaten protestierenden Air-France-ArbeiterInnen und der Fischer ist ihnen ohnedies gewiß.

Balladur will in einem Jahr Staatspräsident werden. Daraus macht er keinen Hehl. Wenn er es nicht schafft, die soziale Explosion zu verhindern, könnte das ein unerreichbares Ziel werden. Dorothea Hahn/Paris

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