Zu Gast bei einer renitenten Putzfrau: Drecksarbeit
Sie beseitigen das, was das System an Schmutz erzeugt und sorgen für Reinlichkeit. Die meisten Putzarbeiten werden von Frauen geleistet. Eine dieser Frauen ist Susanne Neumann in Gelsenkirchen.
Sie putzen alles, Theater, Schlachthöfe, Gerichte, Schulen, Altersheime, Krankenhäuser, U-Bahnen, Züge, Flughäfen, Großküchen, Ämter und Bürogebäude. Sie beseitigen Berge von Papier, Abfall, Staub, Schmutz, Blut, Fett, Urinstein und Kotspuren. Sie beseitigen das, was das System an Schmutz erzeugt und sorgen für etwas ganz Unverzichtbares, für Reinlichkeit, Hygiene und Ordnung. Man möchte meinen, das sei etwas wert. Putzen jedoch ist, eine schlecht bezahlte Knochenarbeit ohne jedes Sozialprestige. Fast alle zu verrichtenden Putzarbeiten werden mehrheitlich von Frauen geleistet.
Eine dieser Frauen ist Susanne Neumann in Gelsenkirchen, sie putzt seit 30 Jahren für ein mittelgroßes Gebäudereinigungs-Unternehmen. Sie engagiert sich nicht nur als Betriebsrätin, sie ist auch Bezirksverbandsvorsitzende und Vorsitzende der Bundesfachgruppe Gebäudereiniger in der IG BAU. In ihren zwei Jobs als Putzfrau und Hausmeisterin arbeitet sie 45 Stunden pro Woche.
An einem schönen Morgen im Juni komme ich im Hauptbahnhof Gelsenkirchen an. Susanne holt mich ab, fährt flott in den Süden der Stadt. Dort zeigt sie mir direkt in ihrer Nachbarschaft einen Förderturm mit Rad auf der 1993 stillgelegten Zeche Nordstern am Rhein-Herne-Kanal.
Das ganze Areal wurde 1997 für die Bundesgartenschau zu einem Landschaftspark umgestaltet, wobei ehemalige Zechenanlagen und Gebäude teilweise erhalten blieben. In diesem großen Nordsternpark gibt es nun Spazierwege und Lustbarkeiten fürs Volk, Amphitheater, Kletterberge, Besucherstollen und Kindervergnügungen. Die stillgelegten Zechen des Ruhrpotts bilden heute auf der "Route der Industriekultur" ein Netzwerk von Industriedenkmalen. Jetzt, im Juni, findet die 10. Nacht der Industriekultur unter dem Motto "Extraschicht" statt. Im gesamten Revier werden die alten Monumente der Industriekultur, wie Hochöfen, Halden, Fördertürme und Gasometer zur Kulturkulisse für Theater-, Tanz- und Musikveranstaltungen.
Nach einem opulenten Frühstück, das Susannes Mann - er ist Gewerkschaftssekretär - im Gartenpavillon für uns alle vorbereitet hatte, zündet sich Susanne eine Zigarette an und bläst entspannt den Rauch in den blauen Himmel. Ein Samowar summt leise, für mich, die Teetrinkerin. In den beiden Biotopen tummeln sich silbrig schimmernde Koi-Karpfen, über dem lang gestreckten Gartengrundstück und den anliegenden Grundstücken der ehemaligen Zechensiedlung von Nordstern, liegt eine behäbige samstägliche Ruhe.
"Fang ich mal an", sagt Susanne in leichtem Gelsenkirchener Ruhrpott-Slang. "Bin am 29.Mai 1959 hier geboren, bin zwar in einer Beamtenfamilie groß geworden, habe meine mittlere Reife gemacht, entsprach aber nicht denn Erwartungen. Denn eine Beamtentochter wird nicht mit 17 schwanger und kriegt mit 19 das zweite Kind. Über meine Eltern möchte ich gar nicht reden, da herrscht Funkstille, ich hab sie ewig nicht gesehen. Ich habe eine Ausbildung angefangen als Dekorateurin und die erste Schwangerschaft über habe ich das noch durchgezogen, aber mit zwei kleinen Kindern haute das nicht mehr hin. Ich habe meine Lehre geschmissen. Dann hatte aber mein Ex-Mann, er war Klempner, einen Arbeitsunfall, war berufsunfähig und musste umgeschult werden zum Techniker. Da fing das an bei mir, mit der Putzerei. Erst mal für 6 Wochen, als Urlaubsvertretung, 7,77 Mark die Stunde. So. Aus diesen 6 Wochen wurden dann bis zum heutigen Tag 30 Jahre! Ich arbeite immer noch als ganz normale Putzfrau.
Ich habe im DGB-Haus geputzt und eines Tages haben sie mir den Hausmeister-Job angeboten, haben mir sogar die Dienstwohnung ausgebaut. Da habe ich für 300 Mark Miete gewohnt und noch 500 im Monat für die Hausmeisterarbeit bekommen. Das war natürlich ideal, ich hatte meine Kinder unter Kontrolle und zusätzlich noch meinen Putzjob auf Steuerkarte. Mit 30 habe ich mich von meinem Ex-Mann scheiden lassen, seine Eifersucht wurde immer unerträglicher. Ich habe den Motorradführerschein und den Autoführerschein gemacht und war ein Jahr alleine. Dann kam Bernie, der neue Sekretär der IG BAU!", sie zeigt Richtung Haus und lächelt. Er hatte was auszusetzen an seinem Papierkorb, aber wir haben uns dann zusammengerauft, im Laufe der Zeit. Nach einem Jahr sind wir zusammengezogen, sechs Jahre später haben wir geheiratet."
Sie zündet sich eine Zigarette an, ich schenke mir Tee nach, bitte sie, von ihrer Putzarbeit zu erzählen. "Also heute entfallen schon mal die vollen Aschenbecher", sagt sie lachend, "in meinen Büros darf nicht mehr geraucht werden. Das Haus hat mehrere Etagen, ich fang immer in der dritten an, mach Flur, Geländer. Und dann gehst du halt systematisch vor, rast mit deinen blauen Müllsäcken rum, machst zuerst die Papierkörbe leer, dann Schreibtische, Computer, Fensterbänke. An jedem Schreibtisch sitzt ein anderer Charakter, einer ist ordentlich, leer, beim anderen ist kein Quadratzentimeter frei, der andere hat ne dreckige Tasse stehen, Schmusetiere, Fotos vom Enkel, einer mag Salzstangen, der andere Pommes. Manche haben Blattpflanzen, mancher gießt die aber nie. Für eine Reinigungskraft ist jede Blattpflanze eine zusätzliche Belastung. Genauso Weihnachtsgestecke mit Tannennadel und Kerzenwachs und dem ganzen Scheiß. Die sind der Horror. Oder der absolute Super-GAU ist Weiberfastnacht, besonders seit es Glitterspray gibt. Konfetti kannst du ja noch weg machen, aber Glitterspray!!! Die kleinen Glitzerstückchen haften überall, auch an Fliesen, an jedem Lappen, das kriegst du nicht weggewischt. Ich hasse es, ich hasse es!
Die meisten Büros haben Teppichboden und sind so zugestellt, dass du den schweren Sauger immer über die Aktendinger heben musst, so dass dir bald die Schultern wehtun und der Rücken. Und dann gibt es solche Neuerungen. Eine normale Reinigungskraft benutzt kein Wasser mehr. Du hast ein Tuch, das wird vierfach gefaltet, es gibt eine Sprühflasche, Pfft?Pfft? Du machst es feucht, und bei der richtigen Falttechnik bekommst du angeblich fünf Schreibtische damit gesäubert. Aber wer so eine Aussage macht, kennt keine Schreibtische! Männer haben das ausgerechnet, wie viele Faltungen und Schreibtischflächen und was man da an Zeit spart, mit nur einer Flasche und einem Mikrofasertuch." Sie lacht. "Ja, aber die Arbeit lässt sich nicht wegrechnen! Ich möchte das einmal in meinem Leben sehen, diese Tonnen von Abfallsäcken, die ich schon weggeschleppt habe. Da gibts keine ,Technik' für, das ist alles echte, körperliche Handarbeit. So. Und wenn ich dann fertig bin, wird das Licht ausgemacht, der Computer ausgemacht, die Kaffeemaschine ausgemacht, das vergessen die halt schon mal. Das liegen gelassene Handy oder Portemonnaie pack ich in die Schublade. Die wissen, ich mach das. Es ist eine Vertrauensposition.
Aber ein Traumjob ist das nicht. Die Bezahlung ist ein Hungerlohn. 8,40 Euro die Stunde, ein bisschen Urlaubsgeld und ansonsten, das wars. Steuerklasse V. So. Was kriege ich raus? 700 Euro. Ein Wahnsinn, ja? Bei Betriebsratssitzungen, Schulungen und solchen Sachen musste ich immer ,nachputzen' und war manchmal bis Mitternacht noch am Malochen. Seit Mai jetzt habe ich eine Freistellung. Ich mache aber noch die C&M-Kunden, putze da zweimal die Woche die 2. Etage und den Hausflur, weil, wenn ich mich da auch freistellen lasse, habe ich Angst, dass ich meinen Hausmeisterjob verliere. Diese Bindung muss erhalten bleiben, aber ansonsten bin ich freigestellt. Wenn ich für die IG BAU unterwegs bin, bekomme ich den Lohnausfall ersetzt und eine Vertretung putzt für mich. Einmal in der Woche fahre ich mindestens nach Frankfurt, dort sitzt der Bundesvorstand. Dafür kriege ich dann Kilometergeld. Ach ja, und immer dienstags bin ich noch ehrenamtlich Schöffin beim Arbeitsgericht. Vor 8 Jahren wurde ich berufen. Das ist sehr interessant für mich und so mancher Richter, der sieht mich lieber von hinten. Bei mir ist das einfach so, es mach KLICK und ich bin in meiner Betriebsratsarbeit; KLICK Arbeitsgericht; KLICK ich bin zu Hause und guck, was es da zu tun gibt; KLICK Hausmeisterjob; KLICK Putzfrau; KLICK Frankfurt Bundesfachgruppe; KLICK Feierabend. Und es ist nie ein Tag gleich wie der andere."
Ich frage, wie sie zur politischen Arbeit kam. "Angefangen hat das praktisch so, dass meine Firma von einer größeren, von Stölting, gekauft wurde. Und dort musste ein Betriebsrat gegründet werden. Erst war ich nur Wahlhelferin, ich hatte ja ein Auto. Und ich konnte gut reden, da habe ich kein Problem mit. Ich war aber dann immer nur stilles Mitglied. Mit zwei Kindern hast du keine Zeit und ich habe ja von 15 bis 21 Uhr gearbeitet. Alles, was so politisch passiert, passiert aber um 18 Uhr. Dann kam aber dieses Schlüsselerlebnis: Eine Objektleiterin hat eine ältere Dame über den Tisch gezogen. Sie hat sie madig gemacht, gesagt, dass sie dreckig ist, die Arbeit nicht schafft. Damit hat sie die Frau dazu gebracht, dass die einen Aufhebungsvertrag unterschrieben hat und mit ihrer Unterschrift auf alle ihre Rechte verzichtet.
Da habe ich gesagt: So. Das passiert in dieser Firma nicht mehr! Ich hab mich von da an betriebsratsmäßig ziemlich eingebracht und wurde dann auch Betriebsrätin, so vor zehn Jahren, ich war etwas über vierzig. Auch der Bezug zur IG BAU wurde dann intensiver. Ich war bei politischen Veranstaltungen, bei den Ortsverbänden, habe Gesetzesbücher gelesen, Arbeitsrecht, Tarifrecht, und viele Grundlagen bei den Frauen in der IG BAU gelernt. Die geben Seminare, auch in Rhetorik. Aber ich hatte ja immer meine eigene Schnauze und meine Lebenserfahrung, die auch sehr nützlich ist. Ich fing bald an, mich mit Politikern anzulegen, mit dem Bürgermeister anzulegen. Und ich wollte die Gebäudereinigung hochbringen. Denn es musste ja mal klargemacht werden, dass wir nicht Menschen zweiter Klasse sind, nur weil wir anderer Leute Toiletten sauber machen.
Und 2004 kam der Super-GAU von Rot-Grün: die Gesetzesänderung in der Leiharbeit! Unternehmer durften jetzt Leiharbeiter auch dauerhaft beschäftigen, zu Dumpinglöhnen und natürlich ohne die üblichen Arbeitnehmerrechte. Da wurden gleich nach Inkrafttreten im Januar überall konzerneigene Leiharbeitsfirmen gegründet, die dann die eigenen Leute zu den schlechteren Konditionen bei sich neu eingestellt haben. Auch jede Gebäudereinigungsfirma hat da natürlich mitgespielt. Sie haben die Arbeitsverträge einfach nur umgeschrieben. Ich habe da was erlebt, als Betriebsrätin, das kannst du dir nicht vorstellen! Bei uns in der Firma haben sie Arbeitsverträge verschickt zum Unterschreiben, nur mit Namen drauf. Haben es begründet mit Steueränderungen. Innerhalb von zwei Tagen sollten die unterschrieben zurückgeschickt sein, sonst, so hieß es, kann die Lohnabrechnung nicht erfolgen. Dann hätten sie nur noch den Stempel der Leiharbeitsfirma draufdrucken müssen, fertig. 2 Euro weniger Stundenlohn.
Das lief alles am Betriebsrat vorbei. Ich sage: Wat denn?! … Das is ja kriminell! Dann haben wir ein Gerichtsverfahren geführt, haben es gewonnen und alle unterschriebenen Verträge waren nichtig. Ich habe eine Betriebsversammlung einberufen und zu den Weibern gesagt: Wehe, wenn ihr noch mal so was unterschreibt! Zwei Drittel der Belegschaft hatte unterschrieben. Aber weil alle Gebäudereinigungsfirmen ja Leiharbeitsfirmen gegründet hatten, mussten wir dann bei den Tarifverhandlungen zurückgehen, weil wir da lohnmäßig unterboten wurden. Wir haben 10 Prozent unseres Lohnes eingebüßt, zwei Tage Urlaub für Neubeschäftigte und 85 Prozent Jahressondervergünstigungen. Ich war gegen die Absenkung, eine winzige Mehrheit, aber der Vorstand hat anders entschieden. Und da fing mein Kampf an in der Bundesfachgruppe der IG BAU. Der Vorstand war einfach nicht kämpferisch genug. Ich bin mit meiner alten Möhre von Frankfurt nach Hause gefahren und hatte sooo eine Wut! Dann habe ich mich eingesetzt, bin auch in den Vorstand gewählt worden und habe gegen die angekämpft, fast drei Jahre, wurde ins Fernsehen eingeladen und alles. Mein Bekanntheitsgrad ist gewachsen und letztendlich bin ich in die Schlacht gegangen, habe kandidiert und wurde zur 1. Vorsitzenden gewählt. Der Vorstand wurde ausgetauscht.
Es hat dann eine Weile gedauert, mal war Nullrunde, mal was anderes, aber dann, 2009, wollten sie uns wieder mal nichts zahlen, uns abfinden mit 1,8 Prozent Lohnerhöhung. Es hieß ,Wirtschaftskrise'. Aber die Gebäudereinigung hat sich die Taschen voll gemacht und erzielte, dank unserer Arbeit, bis zu 20 Prozent Gewinne. Wir haben verhandelt, im September sollten die Tarifverträge auslaufen und auch der Schutz des Mindestlohnes! Wir haben uns zu einem bundesweiten Arbeitskampf gerüstet.
Die Frauen zu überzeugen, was zu koordinieren, das war schwierig. Viele haben Angst, haben befristete Verträge, putzen morgens um 5 oder nachts um 12, und Zugang habe ich offiziell auch nur zu den Innungsbetrieben. Wir haben einen Arbeitskampf der ,Nadelstiche' gemacht, zwei Tage gestreikt im Krankenhaus, aber bis die Firma Ersatz organisieren konnte, waren wir schon wieder da. Die Krankenschwestern haben uns ab da gegrüßt. Das war uns sehr wichtig, denn man schaut auf uns runter, denkt immer, Putzen sind doof. Aber zum Beispiel in meiner Firma, hat mindestens jede zweite Frau einen qualifizierten Berufsabschluss. Und wenn nicht, auch nicht schlimm, wie man an mir sieht! Es gab jedenfalls eine richtige Sympathiebewegung. Pförtner in manchen Werken haben sogar die Streikbrecher nicht aufs Werkgelände gelassen, weil sie keine Sicherheitsausweise hatten.
Oder es wurden auch alle Schlüssel von den Putzkammern vertauscht und die Ersatzkräfte mussten wieder nach Hause gehen. Wenn du so einen Arbeitskampf hast, dann brauchst du Wut, Stärke, Hass und auch List. Die Weiber haben sich amüsiert über die Doofheit der Arbeitgeber, haben sich auch gegenseitig mitgezogen, wenn eine ängstlich war, grade bei den Befristeten. Das war wie so ne Welle. Das war ein Arbeitskampf der Frauen. 90 bis 95 Prozent waren Frauen. Also die haben die Arbeitgeber richtig vorgeführt. Du machst dir kein Bild da drüber.
Und dann war ein Schlüsselerlebnis eine Einladung vom ZDF, ,Frühstücksfernsehen'. Vorher habe ich noch meinen Hausmeisterjob gemacht und dabei ist mir so eine Parkstange auf den Fuß gefallen. Trümmerbruch, Gipsbein, Aus und Ende! Aber ich hab nach dem ersten Schreck einen Fahrdienst organisiert, Rollstuhl, Krücken, einen Flieger. Zum ersten Mal im Leben bin ich geflogen! Um fünf war ich dann in Berlin mit den Streikenden auf der Straße, dann haben sie mich zum ZDF gebracht. Ich hab mich auf die Couch gesetzt, hatte am Gipsbein ne rote Socke und unseren Aufkleber "8,7 Prozent".
Die Moderatorin hat mich gleich angebiestert deswegen, da wusste ich, wie es läuft. Sie fragte auch: ,8,7 Prozent in der Wirtschaftskrise?!' Die gehen ja immer von ihren Gehältern aus, automatisch. Und ich habe ihr erzählt, dass das 71 Cent sind für uns. 24 Cent wollten die Arbeitgeber geben. Auf dem Gewerkschaftstag habe ich das mal mit nem Brötchen in dieser Preisklasse begreiflich gemacht. Ich habe ein kleines Stückchen abgebissen und gesagt: Das wollen die Arbeitgeber uns zahlen! Ich bin kein politischer Redner, aber zehn Sätze, die das Gehirn aufnehmen kann, die müssen sitzen. Und originelle Ideen müssen her und umgesetzt werden. Es gab z. B. eine Putzolympiade im Arbeitskampf, Klobürstenweitwurf, wer hat den ersten Eimer voll usw. 500 bis 600 Putzfrauen. Du musst dir vorstellen, auf einmal war alles Ängstliche weg, alle waren selbstbewusst und haben gelacht. Es war geil! Dann hat auch Sat.1 berichtet, Vox, RTL. Ich habe zu einem Reporter gesagt: Gucken Sie mal, wie viele Frauen hier sind, wie viele bundesweit im Streik sind und jede Frau macht in der Stunde 400 qm sauber! Jetzt können Sie sich vorstellen, wie viel Quadratmeter morgen und übermorgen dreckig bleiben. Und die Arbeitgeber haben vor Wut in die Tischkante gebissen. Sie sind von der Presse dann auch wirklich geschlachtet worden.
Gut, letztendlich kamen dann nur 4,9 Prozent im Westen und 6,3 im Osten raus. Aber das tolle Ziel, Mindestlöhne für 860.000 Gebäudereiniger, das war erreicht! Wir haben eine Wegegeld-Regelung und wir haben eine Altersvorsorge-Regelung. Auf jeden abgesparten Euro gibt der Arbeitgeber 23 Cent drauf. Gut, die spart er auf den Cent an Steuern wieder ein, aber wir haben diese Sachen innerhalb von zehn Tagen durchgekriegt. Man kann schon sagen, das war nach Jahrzehnten der erste gewonnene Arbeitskampf. Und ich habe ja mehrere Tarifverhandlungen mit den Arbeitgebern mitgemacht, und bei diesen letzten Verhandlungen, musst du dir vorstellen, da hatten sie nicht mehr dieses herablassende Belächeln im Gesicht."
Ich bitte sie noch um einige Beispiele der Arbeitsbedingungen von Putzfrauen. "Also in einem Chemiewerk haben früher 43 Frauen festangestellt geputzt, heute müssen dieselbe Fläche 14 Frauen mit 400-Euro-Jobs putzen. Beispiel Krankenhaus: Früher haben 2 Putzfrauen eine Station geputzt, waren vom Krankenhaus angestellt. Dann kam das auf mit den ,Servicegesellschaften' oder richtiger gesagt, Leiharbeitsfirmen. Die Krankenhäuser haben ,Tochtergesellschaften' gegründet, wo sie Stammpersonal hin verlagert haben, von der Krankenschwester bis zur Putzfrau, um es dann an sich selbst zu verleihen. Senkung der Personalkosten, Erhöhung der Gewinne, 18 Prozent weniger Steuern! So. Oder sie haben sich Gebäudereinigungsfirmen reingeholt. Egal. Das hat jedenfalls dazu geführt, dass man immer engere Zeitvorgaben macht und an die Leistungsgrenzen der Frauen geht. Im Schnitt hat eine Reinigungskraft 3,5 Minuten für ein Krankenzimmer, inkl. Nasszelle, Waschbecken, Dusche, WC. Richtig! Das geht gar nicht. Aber sie macht es, putzt, was sie drüber ist an Zeit, auf ihre eigenen Kosten. Und wenn sie vorne eincheckt, zu ihrem Putzraum geht, ihren Wagen fertig macht und dann auf die Etage fährt, dann gilt das als ,Rüstzeit' und ,Rüstzeiten' werden nicht bezahlt. Solche Missstände gibt es überall. Eine Hygieneschwester hat mir mal gesagt, der Kostendruck ist derart stark, ich mache meine Prüfungen eher nicht so genau.
So nimmt der Druck immer weiter zu. Alle zwei Jahre wird der Auftrag neu ausgeschrieben, die Reinigungsunternehmen unterbieten sich gegenseitig und das wird dann wieder bei uns abgezwackt, indem sie mehr Leistung draufpacken. Du bist ne Ware und wirst verkauft! Und wenn du zur Objektleiterin nicht lieb bist, teilt sie dich in besonders arbeitsaufwendige, schmutzige oder weit entfernte Objekte ein. Aber klar. Die wird natürlich auch ausgeplündert. So eine Objektleiterin mit 40 Stunden, die wirst du immer 60 Stunden am Arbeiten haben, bleibt ihr ja nix anderes übrig. Jeder hat Angst um seinen Job und legt sich krumm auf eigene Rechnung. Deshalb verstehst du vielleicht auch, weshalb das mit den Befristeten so schlimm ist. In der Gebäudereinigung wird jeder befristet eingestellt. Jeder! Außer bei uns in der Firma, da gibt es eine Betriebsvereinbarung. Meine Frauen haben Kündigungsschutz! Unser Chef war so angepisst vom Arbeitskampf, dass er gesagt hat: ,Gut, Frauen, ich mach das, ich zahl das.' Sonst ist die Regel die, dass jeder Arbeitnehmer in den ersten 2 Jahren befristet ist, d. h., er kriegt seinen Arbeitsvertrag nur für 6 Monate, dann läuft der aus und kann, immer befristet, verlängert werden. Oder auch nicht! Bei schlechter Auftragslage kann die Firma auch befristen. Und dadurch bist du natürlich total erpressbar, machst alles und hältst die Fresse. Mein Kampf gilt diesen befristeten Arbeitsverträgen!
Oder diese Scheiß-400-Euro-Jobs, es gibt ein Millionenheer von ,geringfügig Beschäftigten', meist Frauen, die alle geringfügig bezahlt werden. Die kriegen ja ihre Klebejahre nicht! Im Alter können sie durch die Finger schaun. Wenns nach mir ginge, sollte man diese 400-Euro-Jobs sofort abschaffen. Oder auch die Lohnbezuschussung für Arbeitslose, 50 Prozent kriegen die Firmen für die Eingliederung eines Langzeitarbeitslosen. Aber sie gliedern ihn nicht ein. Nach einem Jahr holen sie sich einen Neuen zum ,Eingliedern'. Das sind alles diese Schindludersysteme. Besonders übel ist die Sache mit der Leiharbeit. Bei uns in der Branche gibt es zwar jetzt, seit den Tarifabschlüssen im letzten Herbst, keine schlechter bezahlten Leiharbeiter mehr, weil wir ja den Mindestlohn haben und die Leiharbeitsfirmen den auch zahlen müssen. Aber sonst überall. Die Politiker wissen schon, warum sie gegen Mindestlöhne sind! Also Leiharbeit ist die größte Schweinerei, dies gibt. Sehr viele Großbetriebe, auch in der Industrie natürlich, haben ihre eigenen Leiharbeitsfirmen. Die Arbeiter werden vorn durchs Werkstor entlassen, hatten 18 Euro die Stunde, und kommen hinten als Leiharbeiter wieder rein, mit 7,28 die Stunde! So. Und als Leiharbeiter hast du kein Recht. Du hast im Arbeitsvertrag stehen, dass du heute hier und morgen dort eingesetzt werden kannst. Für den Arbeitsweg hast du selber aufzukommen und bei einem Stundenlohn von 7,28 fahr mal täglich nach Köln! Kein Urlaubsgeld, kein Weihnachtsgeld. Und helfen können wir denen nicht. Die Betriebsräte sind erpressbar geworden, denn Leiharbeiter gehören nicht zur ,Anzahl der Betriebsangehörigen', sie dürfen, laut BAG-Urteil, bei der Bemessung der Betriebsratsmandate und Freistellungen nicht mitgezählt werden.
So. Da hast du als Betriebsrat unter Umständen 1.000 Mitarbeiter auf dem Werksgelände, aber zuständig bist du nur für die Hälfte! Leiharbeit war mal dafür gedacht, in Stoßzeiten vorübergehend zusätzliche Arbeitskräfte einzustellen, ohne weitere Verpflichtungen. So haben es die Politiker erklärt. Aber nach den Gesetzesänderungen dürfen Leiharbeiter jetzt bis zur Rente am selben Arbeitsplatz stehen. Bei Opel, glaub ich, hatten sie nicht mal ne Garderobe und sie durften nicht in die Kantine, weil sie keine Werksangehörigen sind. Also weißte! Und wem haben wir das alles zu verdanken?! Mein schönstes Erlebnis war, als ich eingeladen war zur Polit-Talk-Show von Maybrit Illner. Da habe ich diesem arroganten Schweinepriester Clement ein paar vor den Bug geschossen. Nach der Sendung hat er zu Illner gesagt, das lass ich mir nicht bieten, in Ihre Sendung komme ich nicht noch mal. Und sie hat gesagt: Ach wissen Sie, Herr Clement, Sie sind ja jetzt aus dem politischen Geschehen raus, wir hatten gar nicht vor, Sie noch mal einzuladen. Der ist fast geplatzt, hat seine vier Leibwächter gerufen, damit sie seinen Mantel holen, und ist abgerauscht. Dieser feine Herr, der hat als Superminister unter Rot-Grün die Leihsklaverei als sogenannte ,Zeitarbeit' gesellschaftsfähig gemacht und sie auch noch als Bestandteil von Hartz IV reingedrückt! Was der für ein Lobbyist war, der Schweinepriester, das hat er gezeigt nach seinem Ausscheiden aus dem Amt. Er hat sich, wie Schröder und wie viele, als Politiker sein Standbein für die Zukunft geschaffen. Jetzt sitzt er bei Adecco, einer der größten Leiharbeitsfirmen der Welt, in der obersten Etage im Aufsichtsrat. Die haben 500.000 Leiharbeitskräfte täglich im Angebot. Er leitet für die irgendein Institut für Arbeitsforschung und macht da so richtig Knete.
Gleichzeitig werden die kleinen Leute immer ärmer. Es werden ihnen jede Menge Belastungen aufgebuckelt. Ich kannte eine alte Frau, die ihre Herztabletten halbiert hat, weil sie die nicht finanzieren kann. Ich habe viele ältere Frauen bei uns arbeiten, die Anrecht hätten auf diese Dingsbumsrente da, Grundsicherung-Sozialhilfe. Die wollen nicht, die schämen sich! Es wird ja auch überall Stimmung gemacht, wer Hartz IV bezieht, ist eine faule Sau. Das ist die Masche. Nee, so nicht, so kanns einfach nicht weitergehn! Irgendwann knurrt der Hund und dann wird er bissig."
taz lesen kann jede:r
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