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■ Zu Franz Steinkühlers RücktrittSchnell, doch schmerzvoll

Für die größten Krisen der westdeutschen Gewerkschaftsbewegung zeichnen keine kapitalistischen Konzernherren verantwortlich. Es waren die Führungsetagen selbst, die die Bewegung an den Abgrund führten. Es gab Zeiten, da reichten zwei Worte, um gewerkschaftliche Kritik an Mißmanagement und unternehmerische Selbstherrlichkeit auf jeder öffentlichen Veranstaltung als „scheinheilig“ zu entlarven und im Keim zu ersticken: „Neue Heimat“. Zeitweise setzte der Skandal um die gewerkschaftseigene Wohnungsbaugesellschaft Mitglieder und Funktionäre in den Betrieben schlicht schachmatt – auch bei den Auseinandersetzungen mit den unorganisierten Trittbrettfahrern.

Auch wenn der „Fall“ Franz Steinkühler mit dem gewerkschaftlichen Super-GAU „Neue Heimat“ unvergleichbar ist, muß man an diese Zeit erinnern, weil es in den letzten Tagen bezüglich des Vertrauensschwundes in die gewerkschaftliche Sache – trotz aller Unterschiede – zu vergleichbaren Reaktionsmustern kam. Die Enttäuschung über den „Börsenspekulanten“ an der Spitze der eigenen Gewerkschaft war ja nicht nur vor den Werkstoren der streikenden Metaller im Osten mit den Händen greifbar. Auch in Westdeutschland wuchs der Zorn über den Coup. Jede Rede Steinkühlers gegen die Spekulanten und die einflußreichen, leistungslosen schnellen Profiteure des kapitalistischen Systems wäre auf den Marktplätzen der Republik im Hohngelächter untergegangen. Gewiß, wer der gewerkschaftlichen Führungsetage aus Mitgliederbeiträgen Monatseinkommen von 23.000 Mark glaubt gewähren zu müssen, der darf sich nicht beschweren, wenn dieses Einkommen auch in Aktienpakete angelegt wird. Darüber sich aufzuregen haben diejenigen kein Recht, die diese Entlohnung auf Gewerkschaftstagen genehmigt haben.

Nicht der Aktienkauf selbst, sondern die Art, wie Steinkühler sein Vermögen zu mehren suchte, machte den Rücktritt unumgänglich. Während die einfachen Mitglieder im Osten streikten, gab sich ihr Vorsitzender dem Börsengeschäft hin. Und nach der Enthüllung suchte er mit windigen Erklärungen dem Vorwurf des Insiderinformationsmißbrauchs zu begegnen.

Weil die Zweifel an seiner Darstellung täglich zunahmen, blieb nur der Rücktritt. Die Schnelligkeit des Vollzuges spricht am Ende auch wieder für Steinkühler, denn mit seinem Rücktritt trug er dazu bei, noch weitaus größeren Schaden von der Organisation abzuwenden. Walter Jakobs

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