Zu Elisabeth Badinters Thesen: Die Zügel von Mutter Natur
In Deutschland wäre es undenkbar, dass ein Buch wie Elisabeth Badinters "Der Konflikt. Die Frau und die Mutter" geschrieben würde. Das liegt nicht nur an der Person der Autorin.
Badinter, eine Intellektuelle, wie man sie in Deutschland kaum finden wird: Mutter von drei Kindern, Ehefrau des früheren Justizministers Robert Badinter, hat eine brillante akademische Karriere gemacht. Ja mehr noch, ihre Bücher führen die Bestsellerlisten an. Dabei ist sie Aufsichtsratsvorsitzende von Publicis, der von ihrem Vater gegründeten, viertgrößten Kommunikationsagentur der Welt. Im öffentlichen Leben Frankreichs ist sie so etwas wie die Hohepriesterin der republikanischen Werte. So hat sie sich kürzlich für das Verbot der Burka in öffentlichen Räumen eingesetzt. Zu den Werten der Republik gehört für sie der in der Revolution geforderte, im anschließenden terreur verlorene Kampf um die Gleichheit der Geschlechter.
In Deutschland gibt es keine weibliche Figur aus der Großbourgeoisie, die mit intellektueller Verve eine derart exponierte Position vertritt. Aber nicht nur das ist bemerkenswert. Ein Buch über den Konflikt zwischen Mutter und Frau könnte man in Deutschland nicht schreiben, weil es diesen Konflikt nicht gibt. Denn die Verhältnisse, um es mit Brecht zu sagen, die sind nicht so. Immer schon hat die Mutter gesiegt. Alles, was Badinter in ihrem Buch als ein Drohszenario an die Wand malt, das in Zukunft einmal wahr werden könnte, ist in Deutschland immer schon schlichte Realität. Mutter Natur, welche Badinter in ihrer wunderbar polemischen Studie mit Schrecken weltweit auf dem Vormarsch sieht, wird durch eine unheilige Allianz zurückgebracht: von Reaktionären, die den Platz der Frau als Ehefrau und Mutter am Herd sehen, von essenzialistischen Feministinnen, die den biologischen Unterschied der Geschlechter und ihre natürliche Neigung betonen, für andere zu sorgen, und schließlich von Grünen, denen mit der Natürlichkeit der Welt die der Mutter selbstverständlich ist.
Unbeschadet, dass sie die Frauen aus den Karrieren verdrängt - so Badinters Furcht -, ist Mutter Natur dabei, die Zügel wieder zu übernehmen, die man ihr eben erst aus der Hand genommen hatte. Also natürliche Geburt ohne PDA, langes Stillen nach Bedarf des Kindes, selbstgemachte Biobabynahrung etc.
Barbara Vinken ist Professorin für Allgemeine und Französische Literaturwissenschaft an der Universität München
Elisabeth Badinter: "Der Konflikt. Die Frau und die Mutter". Deutsch von U. Held/S. Singh. C. H. Beck Verlag, München 2010, 222 S., 17,95 Euro, erscheint am 31. Augus.
--
Die Thesen der 66-jährigen Feministin und Philosophin erregten in Frankreich großes Aufsehen. Sie ist Mutter von drei Kindern, ihr Mann ist Robert Badinter, der unter François Mitterrand Justizminister war. Sie stammt aus einer wohlhabenden Familie und sitzt im Aufsichtsrat von Publicis, der viertgrößten Werbeagentur der Welt. In der übersteigerten Mutterliebe gerade bei gebildeten Frauen sieht sie eine Gefahr für die Emanzipation der Frau.
Man mag manche Details, beispielsweise Badinters republikanische Fixierung auf die Muttermilchliga, übertrieben finden, zumal sich hier viele Elemente ihrer Lieblingsverschwörer gegen die Republik zusammenfinden. Diesmal zwar keine Jesuiten, aber wenigstens Katholiken. Denn die "leche league", eine Lobby, die für weltweites Dauerstillen kämpft, wurde im katholischen Chicago gegründet, und ihre Schutzpatronin ist eine Madonna in St. Augustin, Florida, die für das üppige Fließen der Muttermilch zuständig ist. Man könnte die Historikerin Badinter daran erinnern, dass, wenn es je ein Bollwerk gegen die Frau als totale Mutter in Europa gab, es das Frauenideal der herrenlosen Braut Christi war, die anderes vorhatte, als Mutter zu werden. Tatsächlich ist die "gute Mutter", die weder "hysterische Heilige" noch verruchtes "Weltweib" ist, ja ausgerechnet ein Produkt evangelisch aufgeklärter Länder. In Frankreich wurde die gute Mutter erst im 19. Jahrhundert in einer Art nachgeholter Reformation gepredigt, und zwar unisono von reaktionären Sulpizianern und Republikanern wie Michelet und Zola. Dem deutschen Sonderweg musste man das nicht zweimal sagen; ihm war die "gute Mutter" seit Luther das tiefste Bedürfnis.
Selbstverständlich kommen wir nicht auf den Gedanken, während der Schwangerschaft ein Glas Champagner zu trinken. Selbstverständlich stillen wir unsere Kinder, solange es geht, wann und wo immer es ihnen gefällt. Selbstverständlich kochen wir ihnen danach Biobrei aus Biogemüse. Selbstverständlich haben wir für mindestens ein Jahr nichts als ihr ausschließliches Wohl, heißt unsere Dauerpräsenz, im Auge. Selbstverständlich suchen wir uns danach höchstens einen Halbtagsjob, der es uns erlaubt, uns unserer wahren Berufung zu widmen: unserem Kind eine gute Mutter zu sein. Selbstverständlich geben wir auch unsere finanzielle Autonomie zum Wohl des Kindes auf und erwarten dabei selbstverständlich, vom Vater des Kindes oder vom Staat unterhalten zu werden.
Wenn wir zu alldem nicht bereit sind, bekommen wir selbstverständlich keine Kinder. Schließlich geht es um Wesentlicheres als um kleinliche, letzten Endes egoistische Fragen der Emanzipation, der finanziellen Selbstständigkeit oder der beruflichen Erfüllung. Es geht immer ums große Ganze, um eine bessere und gesündere Welt. Haarspalterische Erwägungen, dass Kinder maximal 20-25 Jahre eines Erwachsenenlebens einnehmen und wie manchmal auch der Mann schneller aus dem Haus sind, als man denkt, können da nicht ins Gewicht fallen. Vor einer Scheidungsrate von 50 Prozent verschließen wir resolut die Augen. In Deutschland hat das Jahrhundert des Kindes, das Ellen Key zu Anfang des letzten Jahrhunderts propagierte, nie aufgehört. Weil uns die gute Mutter zur zweiten Natur geworden ist, haben wir in Deutschland selbstverständlich wesentlich weniger Kinder als in Frankreich. Selbstverständlich ist der Verdienstunterschied zwischen Männern und Frauen wesentlich größer als im Nachbarland. Selbstverständlich nehmen sich die Karrieren der Frauen neben denen der Männer einfach mickrig aus. Eine Bundeskanzlerin macht noch keinen Sommer.
Party und Bekannte
Auf einer Party des deutschen Geldadels erzählt mir ein Vater von den Aussichten seiner Kinder. Seine Tochter habe unbedingt Architektur studieren wollen - ein Beruf, der im Moment ja nicht besonders karriereträchtig sei. Er habe sie darin bestärkt: aufgrund ihrer Talente auf dem Gebiet, vor allen Dingen aber wohl, angesichts der mageren Verdienstchancen, mit Rücksicht auf ihr Geschlecht.
Denn sie wird ja heiraten und Kinder kriegen. Hat sie Architektur studiert, kann sie nebenher immer ein paar Häuser umbauen. Verwunderlich, dass dieser Vater das Risiko einer Architektenlaufbahn für jemanden, der seinen Lebensunterhalt verdienen muss, für unzumutbar hält, aber felsenfest - trotz 50 Prozent Ehescheidung und der neuen Gesetzgebung, welche die Unterhaltspflicht so gut wie aufhebt - auf die Ehe als Versorgungsinstanz baut. Verwunderlich, dass eine ehrgeizige Tochter, die signature buildings in die Welt stellen will, für ihn nicht denkbar ist. Verwunderlich, dass er sich nur vorstellen kann, dass sie von der Versorgung durch die Eltern in die durch den Gatten wechselt.
Die Ehe einer Bekannten, 45, Mutter von Teenager-Töchtern, wurde geschieden. Der Mann ist in zweiter Ehe mit einer kinderlosen, sehr gut verdienenden Frau verheiratet. Er selbst hat eine glänzende Karriere gemacht. Für meine Bekannte und ihren Mann war es sonnenklar, dass die Mutter sich vor allen Dingen und wenn nötig ausschließlich um das Wohl der Kinder kümmern würde. Heute verdient sie 30 Prozent von dem, was er verdient. Nach der neuen Regelung der Unterhaltspflicht muss er ihr, die im gegenseitigen Einvernehmen und in vollkommener Harmonie mit der ideologischen Großwetterlage der Bundesrepublik ihre gemeinsamen Kinder großzieht, keinen Cent Unterhalt zahlen. Immerhin ist die Praxis der Rechtsprechung in der Übergangszeit gerechter als die richtige Theorie, die unterstellt, was sein sollte, aber nicht ist: dass die Frau für sich selbst Verantwortung übernimmt und es trotz der Kinder kann.
Elisabeth Badinter sieht den individualistischen Hedonismus als die Norm, an der die Leute heute ihr Leben ausrichteten: Wohlbefinden, Freiheit, Vergnügen, Liebesglück, finanzieller Erfolg, kurz, der Genuss des Lebens wurde zur Grundlage gesellschaftlichen Handelns. Seit den 1970er Jahren sind Sexualität und Kinderkriegen entkoppelt. Von diesem Moment an bekommen wir nicht einfach Kinder, wir müssen sie wollen und uns dafür entscheiden. Im Gegensatz zu Frankreich, in dem zwei Kinder die Norm sind und kinderlose Frauen selten, gibt es diese Norm in Deutschland schon lange nicht mehr. Badinter spricht von einem Gebärstreik. Dieser Gebärstreik ist in Deutschland nicht Zukunftsmusik, sondern längst Realität. Immer mehr Frauen, und vor allen Dingen immer mehr besser ausgebildete Frauen, bekommen keine Kinder. Das Leben ohne Kinder ist eine ebenso praktizierte wie akzeptierte Lebensform geworden wie das Leben mit Kindern.
Aber das Wort "Gebärstreik" trifft die Sache vielleicht nicht; und von einer "Entscheidung gegen Kinder" zu sprechen, ist in vielen Fällen auch verfehlt. Eher schlittert man in diese Situation hinein, die oft als Verzicht erlebt wird. So schön es ist, dass Frauen hierzulande nicht mehr unter der Norm und dem Druck stehen, Kinder bekommen zu müssen, so schade ist es, dass es ihnen durch ihr eigenes, übermächtiges Mutterideal so schwer gemacht wird, ihren Wunsch nach Kindern zu erfüllen. Nicht wegen der Renten, des Überlebens eines Volkes oder was weiß ich. Sondern allein aus hedonistischen Gründen: wegen der Lust, die Kinder sind.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Kinderbetreuung in der DDR
„Alle haben funktioniert“
Eine Chauffeurin erzählt
„Du überholst mich nicht“
Hybride Kriegsführung
Angriff auf die Lebensadern
Niederlage für Baschar al-Assad
Zusammenbruch in Aleppo
Kompromiss oder Konfrontation?
Flexible Mehrheiten werden nötiger, das ist vielleicht gut
SPD im Vorwahlkampf
Warten auf Herrn Merz