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Archiv-Artikel

Zoom doch mal ran!

Jede Nacht läuft die Call-in-Sendung „Chatstation mit Jessy B.“ auf TV-B. Die Show leistet einen wertvollen Beitrag zur Dekonstruktion des Mediums

VON ANDREAS BECKER

Merkwürdige Fernsehformate gibt’s. Vor allem nachts nach 24 Uhr, wenn „nackte Haut“ gezeigt werden darf. Der Musikkanal Onyx zeigt von Amateuren gedrehte Stripnummern mit unbeholfenen Mädels, die ihre aufgepumpten Brüste kneten und endlich irgendwann ihren Slip wegwerfen, wenn er nicht an den High Heels hängen bleibt. Lustig sind auch die Stripnummern auf DSF, die als Location immer Basketball- oder Tennisplätze auswählen. Ist eben Sportfernsehen. Wer kein Pay-TV hat, ist auf derlei Billigwichsvorlagen angewiesen.

Der 01 90-Gebühren wegen überlegte sich der ostdeutsche Fernsehproduzent Mario Büttner, wie man die Leute dazu bringen könnte, in seiner Show anzurufen. Was dabei rauskam, könnte ähnlich auch von Schlingensief sein, nur weiß Büttner nicht, dass er einen wertvollen Beitrag zur Dekonstruktion eines Mediums leistet. Vor acht Monaten erfand er auf TV-B eine Art Strip-Poker-TV, das man auch in Hamburg und München empfängt. Seitdem gibt’s jede Nacht von 24 bis 2 Uhr eine Call-in-Show, die sich „Chatstation mit Jessy B.“ nennt. Drei, manchmal vier Mädchen, manchmal auch Jungs, liegen auf einem großen roten Bett, telefonieren, moderieren und kichern durcheinander. Produziert wird jede Nacht in den Studios von TV-B direkt unterm Funkturm am Alexanderplatz.

Um viertel nach zehn öffnet Mario Büttner die Tür zu seinem Studio. Büttner, ein rundlicher Typ mit Kippe im Mund, ist Herr über zwei große, alte Sony-Kameras und eine winzig kleine, die man den Mädels schon mal in den Ausschnitt stecken kann.

Ich setze mich auf das rote „Liebessofa“, von dem aus Jessy immer die Anmoderation macht. Sie tippt gerade etwas in den Computer. Wenn die Jalousien vor den Fenstern später hochgehen und es nicht zu kalt draußen ist, stehen immer ein paar Spanner vorm Fenster.

Sonja, die diesen Abend auch auf dem Bett liegen wird, kommt rein und bringt Kaffee von Burger King mit. Dann klopft es wieder an der Scheibe, aber es ist nur die langbeinige Schönheit Loulu (das o im Namen erklärt sie später kryptisch mit: Ich bin doch keine Kuh, worauf ich als alter Germanist sie völlig blöd frage: Dann kommt das nicht von Wedekind? Sie blubbert aber zum Glück gerade in ihrem Milkshake und versteht nichts).

„Hast du denn die SMS nicht gekriegt“ fragt Jessy, ganz Chefin. „Du solltest doch heute gar nicht arbeiten.“ Loulu hat die Tage verwechselt – sie sei zu blond, ruft Sonja rüber. Aber alles kein Problem: Mario, der große Improvisator, entschließt sich, heute einfach vier Frauen auftreten zu lassen. Loulu wird später dann auch die meisten Anrufe kriegen und am häufigsten ein paar Sekunden lang ihre Titten rausholen, hochheben und wieder einpacken. Vorher sagt sie dann zu Mario: Mach mal den Zoom.

Was in solchen Momenten am Telefon besprochen wird, ist das große Geheimnis der Girls. „Das Thema heute ist Füße“, sagt Mario zu Jessy und nimmt damit ihre recht freie Grammatik vorweg. Es sei manchmal einfach gut, sich auf ein bestimmtes Thema zu konzentrieren und nicht ständig zu sagen: „Ruft jetzt bitte an, Jungs, Leitung zwei und vier sind frei“, was in der Show penetrant getan wird.

Jetzt kommt sogar noch eine fünfte Frau ins Studio. Es ist Pia, sie macht so eine Art Aufnahmeleitung und lässt sich dann später von F. ganz sanft in der rechten Fernsehecke die Füße massieren. So hat man mit vier Mädchen zehn Füße im Bild. „Zeig doch mal deine geilen Strümpfe“, wird öfter mal verlangt für 1,86 Cent die Minute. Man kann auch faxen, das Fax nennen sie „unser Otto“. Der kriegt dann später in der Nacht noch 22 Seiten am Stück mit Grüßen.

Die Bild-Zeitung vom nächsten Tag muss organisiert werden, die liest man gerne vor in der Show. Diesmal ist sogar eine große Story über Jessy B. mit T-Shirt „Ich bin sexy“ drin. Eine BGS-Beamtin hat sich in Jessy verliebt und ist nun so enttäuscht von Jessy, dass sie angeblich die 01 90er-Nummern entschlüsselt hat. Im Internet wurden dann normale Nummern veröffentlicht, mit denen man in die Show durchkam. Ziemlich ärgerlich, findet Mario. „Das geht jetzt technisch aber nicht mehr.“

Pia erzählt, dass sie von Beruf Försterin ist und ziemlich gut mit der Motorsäge umgehen kann. Ihr letzter Arbeitgeber hat ihr aber gerade gekündigt, weil er von ihren Aktivitäten auf TV-B erfahren hat.

Im Studio schmiert sich Loulu, nur noch im knappen Kleidchen, gerade die Beine mit Babyöl ein, auch Jessy kommt umgezogen rein. F. fällt auf durch lange, halterlose knallrote Nylons. Sie möchte nicht, dass ihr voller Name in der Zeitung steht, weil sie zur Bundeswehr will. Dann gehen die Jalousien auf, die vier räkeln sich auf dem Bett, Jessy haut Sonja auf den Arsch und macht übermäßig laut: Rrrrrrrrr.

Beim „Cool und Sexy“-Spiel müssen Zuschauer die Frage beantworten: Wo steht der Eifelturm? Loulu fragt einen Anrufer: „Du möchtest meine Unterhose sein?“, und dreht ihren Hintern in die Kamera.