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Zombiefilm "Otto"Der Untote als Privatmann

Auch Untote haben mal keinen Bock auf nichts: Bruce LaBruce lässt im tollen "Otto; or Up With Dead People" einen Zombie verlorene Seele sein.

Bild: berlinale

Otto ist ein Zombie in einer Identitätskrise. Er weiß nicht, woher er kommt oder wohin er will. Also wankt er durch Rapsfelder, strauchelt über Friedhöfe, schlurft durch Alleen - und weiß nur: Er sollte Menschenfleisch zu sich nehmen. Otto hält den Anhalterdaumen raus. Da ihn erst niemand mitnimmt, isst Otto traumverloren von einem überfahrenen Hasen am Wegesrand. Als er endlich in Berlin ist, schlurft er, die dreckige Kapuze über seinem bleichen, blutverschmierten Gesicht, durch die Stadt: Tagsüber tapert er mit seinen sich ständig verheddernden Knetgummi-Beinen unter der U1 durch, nachts sitzt er im ehemaligen Spreepark und stiert aus farblosen Augen auf demontierte Geisterbahnwaggons.

Dann findet ihn die herzhafte Filmemacherin Medea Yarn, die gerade einen Low-Budget-Film über eine schwule Zombie-Guerillabewegung dreht. Otto wird gecastet und sich im Zuge der Dreharbeiten an eine romantische Liebe zu einem anderen Jungen erinnern, fast Sex mit einem anderen Zombie-Darsteller haben, die Lust auf Menschenfleisch verlieren und am Schluss ziellos aus der Stadt wanken.

Bruce LaBruce, der große Politpornograf, hat mit "Otto; or Up With Dead People" einen wundervollen Film gemacht. War sein letzter Film "Rasperry Reich", der 2004 auf der Berlinale Premiere hatte, noch heftiger Voll-auf-die-neun-Trash, der die Geschichte einer RAF-Nachfolgeorganisation in einen Hardcore-Gay-Porno kippen ließ, ist "Otto" jetzt poetischer, versponnener, anspielungsreicher und im pornografischen Sinne deutlich verhaltener. Nur noch im Film im Film werden die Verhältnisse buchstäblich gefickt. Von Zombie-Schauspielern. Da Otto sich als echter Zombie fühlt, braucht er sich den Stress auch nicht mehr zu geben.

Sind in Medeas Film, wie sie wortreich ausführt, die Zombies Metaphern für das Randständige, das sich als Einziges dem allumfassenden kapitalistischen und faschistischen System entzieht, ist Otto ein Zombie aus gebrochenem Herzen. Rekrutiert in Medeas Film der schwule Zombie Fritz als "Che Guevara of the Undead" eine schwule Guerilla-Zombie-Armee, indem er lebenden Schwulen die Gedärme herausreißt und sie hernach durch einen Fick in die Bauchhöhle quasi reanimiert, will Otto noch nicht mal in der Badewanne seine dreckstarrenden Klamotten ablegen. Geht es Medeas Film um eine auf mehreren Ebenen (untot und schwul) ausagierte radikale Antihaltung zur "Zivilisation der Lebenden", geht es Otto eigentlich um gar nichts mehr. Während die Regisseurin die triumphale Schlusszene ihres Films als Zombie-Gruppensex-Szene inszeniert, eiert Otto einsam durch die Stadt und Kids verprügeln ihn.

Bruce LaBruce scheint mit der Figur Otto seinen eigenen Überschwang zu kommentieren. Er baut erst eine geschachtelte Film-im-Film-Geschichte. Er spielt mit filmgeschichtlichen Referenzen wie ein Kind mit Bauklötzen - Horrorfilmklassiker, Stummfilm, Maya Deren. Er packt 55 Stücke in den Soundtrack (sehr erlesen: Neue Musik, Anthony and the Johnsons, CocoRosie, Throbbing Gristle). Er lässt nach Pollesch-Art viel wohlgefeilte Kapitalismuskritik abfeuern und dazu noch Marcuse lesen. Er macht über mannigfaltige Fleischkonkretionen das Feld auf zwischen Sex als rebellischer Geste und Sex als paradigmatischem Konsumakt. Aber dann lässt er die verlorene Seele Otto ins Bild tapern und macht dem ganzen Bedeutungswust einen privaten Strich durch die Rechnung - einfach weil Otto sich weder vom Politisieren noch vom Ficken noch von sonstigem blinden Aktionismus anstecken lässt und lieber sein eigener leerer Signifikant bleibt. Die Bartleby-Romantik erringt einen Punktsieg über die revolutionäre Aktionskunst. Ohne einander aber wären beide nichts.

"Otto; or Up With Dead People" Regie: Bruce LaBruce. Mit Jey Crisfar, Katharina Klewinghaus. Deutschland/Kanada 2007, 94 min. 14. 2., 17 Uhr, Cubix. 17. 2., 20.15 Uhr, CineStar

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