piwik no script img

Zivis gegen soziales Pflichtjahr

■ Bundestreffen selbstorganisierter Zivildienstleistender in Osnabrück/ Pflegenotstand verstärkt Druck/ Zivildienstleistende aus dem Westen werden als „weltfremd“ kritisiert

Osnabrück (taz) — Die Selbstorganisation der Zivildienstleistenden (SOdZDL) rechnet mit der Einführung eines allgemeinen sozialen Pflichtjahrs nach der Bundestagswahl im Dezember. Auf ihrem zweiten diesjährigen Bundestreffen in Osnabrück lehnten die Kriegsdienstverweigerer eine solche Pflichtarbeit einmütig ab.

In den bevorstehenden Auseinandersetzungen wollen die ZDLer, die in der ehemaligen Bundesrepublik in kleinen Gruppen organisiert sind, „unsere Erfahrungen mit dem Zivildienst als Zwangsdienst“ für alle zukünftigen Pflichtjahr-Betroffenen nutzbar machen und beispielsweise mit Frauengruppen eng zusammenarbeiten.

Der durch die Verkürzung des Zivildienstes erneut offenkundig gewordene Pflegenotstand verstärke den Druck auf die Männer, die derzeit ihren Zivildienst ableisten, berichteten Tagungsteilnehmer. Besonders Zivis, die Schwerbehinderte rund um die Uhr in deren Wohnung betreuen, können diese nicht im Stich lassen, wenn keine Nachfolger da sind. In Hamburg haben deshalb 50 ZDLer bereits ihren Dienst „freiwillig“ um fünf Monate verlängert. Andernorts bemühen sich Träger sozialer Einrichtungen, mit den Zivis nach Ende ihres Dienstes Arbeitsverträge abzuschließen, um den Personalmangel auszugleichen.

Es sei jedoch nicht Aufgabe der SOdZDL, Wege aus der Pflegemisere zu weisen. Vielmehr müßten die Zivis endlich aus den Pflegeplänen herausgenommen, neue Pflegekräfte kurzfristig angelernt und bezahlt sowie Arbeitsbedingungen und Entlohnung im Pflegedienst insgesamt deutlich verbessert werden, forderten die ZDLer. Die gesetzwidrige Praxis der Wohlfahrtsverbände, Zivis als billige Arbeitskräfte fest einzuplanen, stelle die Verbände nun vor unlösbare, gleichzeitig jedoch absehbare Probleme.

Den Bundestagsbeschluß vom Freitag, nach dem der Zivildienst entsprechend dem Wehrdienst nicht auf zwölf Monate verkürzt werden soll, kommentierte Christian von der SOdZDL-Zeitschrift 'Ausbruch‘ mit einem trockenen: „Kann uns nicht erschüttern.“ An der von den Kriegsdienstverweigerern grundsätzlich abgelehnten zivilmilitärischen Verplanung ihres Dienstes ändere eine dreimonatige Verkürzung ohnehin nichts.

Enttäuscht über den Bundestagsbeschluß, besonders aber über das Verhalten der Ex-Volkskammerabgeordneten, die der Abstimmung größtenteils ferngeblieben waren, zeigten sich dagegen Zivildienstleistende aus der Ex-DDR. Sie waren aus Osnabrücks Partnerstadt Greifswald zum SOdZDL-Bundestreffen gekommen, um sich über die praktischen Auswirkungen der Vereinigung auf Zivis im ehemaligen Gebiet der DDR zu informieren.

Unter dem Eindruck der großen Verbesserung, die ihnen die Gleichstellung von Kriegs- und Zivildienst in der Nach-Wende-DDR gebracht hat, empfanden die Greifswalder die wiederholte Grundsatzkritik der West-Zivis am Zivildienst als Zwangsdienst und die Debatten um radikal antimilitaristische Politik als „weltfremd“.

Auch die Auseinandersetzung um ein soziales Pflichtjahr spiele bei ihnen noch keine Rolle. Ihr Ziel sei zunächst, über ihren in diesem Sommer gegründeten Zivildienstverein möglichst viele Zivis zu erreichen, praktische Probleme lösen zu helfen und langfristig in die Arbeit für Zivildienstleistende einzusteigen.

Bettina Markmeyer

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen