Zivilgericht für Guantánamo-Häftlinge: Der Alptraum des George W.
Von den 270 Gefangenen in Guantánamo könnten die ersten 80 nach dem Urteil des Obersten Gerichtshofes bald freikommen - denn die Beweislage ist ungenügend.
WASHINGTON taz Nach dem Urteil des Obersten Gerichtshofs der USA werden die meisten der 270 Gefangenen im US-Straflager Guantánamo ihr neu errungenes Recht auf Haftprüfung vor einem ordentlichen Gericht in Anspruch nehmen. Der Richterspruch sei "ein Meilenstein zur Wiederherstellung der Demokratie in den USA", sagten Anwälte der Gefangenen, die das nunmehr dritte Urteil erzwangen, dass die Haftbedingungen in Guantánamo gegen die Verfassung der USA verstoßen. Für die Regierung von Präsident George W. Bush ist es ein sicherheitspolitischer Albtraum, dass die Häftlinge nun theoretisch die gegen sie gesammelten Vorwürfe und Beweise vor Gericht einsehen können.
"Das Urteil ist ein wichtiger Schritt, um die Glaubwürdigkeit der USA als demokratischer Rechtsstaat wiederherzustellen", sagte der demokratische Präsidentschaftskandidat Barack Obama. Sein republikanischer Gegenspieler John McCain reagierte dagegen "besorgt" auf das Urteil des Obersten Gerichtshofs, das den Guantánamo-Insassen das Recht zuspricht, vor normalen US-Gerichten gegen ihre Haft zu klagen. "Diese Häftlinge sind feindliche Kämpfer, sie sind nicht amerikanische Bürger", beschwerte sich McCain. Die Rechte der Häftlinge seien bereits "mehr als ausreichend großzügig" gewahrt, meinte McCain. Der Senator war federführend in der Erfindung der Militärtribunale, die der Oberste Gerichtshof nun als verfassungswidrig verwarf. "Diese Entscheidung", sagte Obama, "ist die klare Zurückweisung aller Versuche der Bush-Regierung, in Guantánamo ein legales schwarzes Loch zu installieren. Es ist Teil der gescheiterten Politik dieser Regierung, die McCain weiterhin unterstützt."
Präsident George W. Bush sagte, er nehme den Richterspruch an, aber "das bedeutet nicht, dass ich dem Urteil zustimme". Bush ließ in seinem Kommentar die Möglichkeit offen, mit neuen Gesetzen, natürlich "um die Sicherheit der amerikanischen Bürger zu gewährleisten", die Konsequenzen des Urteils zu umgehen. Das hat seine Regierung bereits mit den beiden vorangegangen Urteilen des Obersten Gerichtshofs versucht, doch die Republikaner haben nun keine Mehrheit mehr im Kongress.
Justizminister Michael Mukasey äußerte sich "enttäuscht", meinte aber, die begonnenen Prozesse vor Kriegsgerichten könnten trotz des Urteils fortgesetzt werden. Mukasey sagte am Freitag in Tokio, die Entscheidung des Verfassungsgerichts beziehe sich nur auf das Verfahren, nach dem "feindliche Kämpfer" festgehalten werden. Man werde sich an die Auflagen halten und prüfen, ob neue Gesetze oder andere Mittel nötig seien.
Unklar ist, wie die Zivilgerichte die Welle von Einsprüchen behandeln werden, insbesondere den Umgang mit möglicherweise unter Folter entstandenen "Beweisen" und als geheim eingestuften Dokumenten. Der Chefrichter am zuständigen Distriktgericht in Washington, Royce C. Lamberth, sagte, er werde in der kommenden Woche mit den Anwälten beider Seiten verhandeln, "wie wir unsere Aufgabe am effektivsten und effizientesten lösen können".
Die Anwälte von Ramsi Binalschib, der Mitglied der "Hamburger Terrorzelle" war, kündigten an, dass sie seine Gefangenschaft sofort vor einem Zivilgericht anfechten werden. Binalschib ist seit vergangener Woche vor einem Militärtribunal angeklagt und hat erklärt, er hoffe auf die Todesstrafe, um als "Märtyrer" zu sterben.
Für mindestens 80 Häftlinge hat das Pentagon bereits zugegeben, nicht genügend Beweise für eine Anklage wegen Kriegsverbrechen zu haben. Mindestens diese 80 können nun wohl auf eine baldige Freilassung hoffen, meinten jedenfalls ihre Anwälte.
40.000 mal Danke!
40.000 Menschen beteiligen sich bei taz zahl ich – weil unabhängiger, kritischer Journalismus in diesen Zeiten gebraucht wird. Weil es die taz braucht. Dafür möchten wir uns herzlich bedanken! Ihre Solidarität sorgt dafür, dass taz.de für alle frei zugänglich bleibt. Denn wir verstehen Journalismus nicht nur als Ware, sondern als öffentliches Gut. Was uns besonders macht? Sie, unsere Leser*innen. Sie wissen: Zahlen muss niemand, aber guter Journalismus hat seinen Preis. Und immer mehr machen mit und entscheiden sich für eine freiwillige Unterstützung der taz! Dieser Schub trägt uns gemeinsam in die Zukunft. Wir suchen auch weiterhin Unterstützung: suchen wir auch weiterhin Ihre Unterstützung. Setzen auch Sie jetzt ein Zeichen für kritischen Journalismus – schon mit 5 Euro im Monat! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Tabubruch der CDU
Einst eine Partei mit Werten
Jugendliche in Deutschland
Rechtssein zum Dazugehören
Jens Bisky über historische Vergleiche
Wie Weimar ist die Gegenwart?
Krieg und Rüstung
Klingelnde Kassen
Denkwürdige Sicherheitskonferenz
Europa braucht jetzt Alternativen zu den USA
„Edgy sein“ im Wahlkampf
Wenn eine Wahl als Tanz am Abgrund verkauft wird