Zivildienst: Lieber freiwillig arbeiten als zivil dienen
Die Dienstverkürzung gefährdet die Arbeit der Sozialverbände. Dabei zeigen junge Leute Engagement.
In der Zentrale des Roten Kreuzes in Schöneberg laufen die Strippen zusammen. An einem großen Tisch sitzen vier Mitarbeiter vor je vier Monitoren und überwachen eingehende Anrufe von alten Menschen. Diese können über ein eigens in ihrer Wohnung installiertes Funksystem im Notfall einfach per Knopfdruck Hilfe rufen. Einer der Funker ist ein Zivildienstleistender. Auch die Installation der Geräte vor Ort wird von Zivis übernommen. Doch es ist fraglich, ob das auch im nächsten Jahr noch so bleibt. Denn der Wehrdienst und damit auch der zivile Ersatzdienst sollen von neun auf sechs Monate verkürzt werden.
"Die Ausbildung zu diesen anspruchsvollen Tätigkeiten dauert drei Monate", erklärt Andre Olszewski, Leiter der Krankentransport-Leitstelle und zuständig für die Zivis. "Eine dreimonatige Ausbildungszeit steht zu sechs Monaten Dienst in keinem Verhältnis", sagt Benjamin Wauer, ein ehemaliger Zivildienstleistender und jetzt hauptamtlicher Pfleger beim DRK. Vor allem ausbildungsintensive Tätigkeiten, die den Zivildienst anspruchsvoll machen, könnten damit wegfallen.
Thomas Gleißner, Sprecher der Caritas, fürchtet daher, die Verkürzung der Dienstzeit gefährde wichtige Sozialisationseffekte. Denn viele junge Männer veränderten Dank anspruchsvoller Aufgaben im Zivildienst ihre Berufswünsche. Einsatzlücken und einen erhöhten Aufwand zur Einarbeitung befürchtet auch Janina Jonietz, Leiterin der Bahnhofsmission im Hauptbahnhof.
Dennoch arbeiten Berliner Sozialverbände nach wie vor gerne mit Zivis. Sie hoffen, dass die jungen Männer die gesetzlich vorgesehene Option zur freiwilligen Verlängerung auf ein Jahr wahrnehmen. Dies würde Olszewski in Zukunft schon beim Vorstellungsgespräch abfragen wollen. Doch Zivildienstleistende dürfen sich erst zwei Monate nach Einsatzbeginn dazu verpflichten. Zudem gibt es schon jetzt viel zu wenig Bewerber. Von den 3.645 Zivildienstplätzen in Berlin waren im Juni nur 1.359 belegt.
Dabei gibt es durchaus Interesse an sozialem Engagement für wenig Geld. Das zeigt die Andrang bei Stellen für ein freiwilliges soziales Jahr. Beim Roten Kreuz, gibt es nach Angaben der zuständigen Mitarbeiterin Pola Kawan zur Zeit 1.300 Bewerber auf 200 Plätze. Die Motivation der Freiwilligen sei mindestens ebenso hoch wie die der Zivis, da sie in keinem Zwangsdienstverhältnis stünden. Zudem seien Lerneffekte und Einsatzmöglichkeiten bei zwölf Monaten Dienstzeit größer.
Freiwillige sind jedoch nicht bei den Trägern nicht so beliebt wie Zivis. Denn die seinen leichter einzusetzen, sagt Peter Tobiassen, Geschäftsführer der Zentralstelle für Kriegsdienstverweigerer. Zum einen sind FSJ-ler für die Träger teurer. Bei Zivildienststellen übernimmt der Bund etwa die Hälfte der Kosten von insgesamt rund 800 Euro pro Monat. Für eine FSJ-Stelle bekommt ein Träger nur 72 Euro. Zudem sind Zivis weisungsgebunden. Sie dürfen nicht einfach hinschmeißen, wenn sie sich ausgenutzt fühlen. Das würde als Fahnenflucht gelten.
"Die große Kunst der Politik wäre es, das Geld, das durch die Dienstverkürzung eingespart wird, entsprechend einzusetzen", meint Andre Tobiassen von der Krankentransportstelle. Doch der Bund plant derzeit von den 180 Millionen Euro eingesparter Mittel nur 75 Millionen für die freiwillige Verlängerung des Zivildienstes ein.
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