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Archiv-Artikel

Zitternd auf Titelkurs

Werder hat gegen den Tabellenletzten 70 Minuten alles im Griff. Dann kamen wieder die „Bayern in grün“, um den glücklichen 3:2-Sieg zu retten

aus Bremen HOLGER SCHLEPER

Für die Anwohner des Weserstadions hat es nach 65 Minuten 5:0 für Werder Bremen gestanden. Fünfmal hatten sie bis dahin den Jubel der grün-weißen Anhänger hören dürfen. Dabei hatte der Ligaerste nur drei Tore erzielt. Die übrigen Ovationen galten dem zweitwichtigsten Hingucker dieses Samstagnachmittags, der Anzeigetafel, die Rostocker Tore in München vermeldete. Der Titelkonkurrent schwächelte. Auf dem Rasen war übrigens der 1. FC Köln zugegen in der Hansestadt. So richtig registrieren wollten die Werder-Fans dies aber erst nach 70 Minuten.

Die Vorzeichen der Partie waren eindeutig. Vor Anpfiff hatte Bremens Ailton mit 20 Treffern drei mehr erzielt als die gesamte Elf aus der Domstadt. Die Elf von Thomas Schaaf schwimmt auf der Erfolgswelle und im Hintergrund arbeitet ein Management, dass nach einigen Umbrüchen seit geraumer Zeit an die ruhigen, soliden Fahrwasser der „Ära Rehagel“ erinnert. In Köln würden sie einiges dafür geben, einen längeren Abschnitt der FC-Geschichte mit einem Trainernamen schmücken zu können. Kontinuität und kölscher Klüngel sind schwerlich vereinbar.

Folgerichtig lag der Tabellenletzte vor 39.555 Zuschauern nach 45 Minuten 0:3 hinten. Johan Micoud hatte die frühe Führung (16.) besorgt. Danach folgte der obligatorische Auftritt des Wüstensohns in spe (siehe Kolumne), Ailton, der erneut im Doppelpack traf.

Dabei hatten die Kölner durchaus gut mitgespielt. „Wir hatten fünf Tormöglichkeiten in der ersten Hälfte“, stellte Trainer Marcel Koller resigniert fest. Und trotzdem habe Bremen ein lockeres 3:0 herausgespielt.

Mit Spannung rechnete niemand mehr. So schien es, dass die Bremer Innenverteidigung zeitweise ihre ungeteilte Aufmerksamkeit dem Zwischenstand aus München zuwandte. Rostock hatte dort den Ausgleich geschafft. Und plötzlich hieß es in Bremen nur noch 3:2. Das 1:3 (57.) war durch einen abgefälschten Schuss Oliver Schröders gefallen. In hoffnungsfroher Atmosphäre wurde dieses Tor aber nur als Schönheitsfehler wahrgenommen. Dass 2:3 durch Dirk Lottner (70.) hingegen war der Startschuss einer knisternden Schlussphase. Dabei gelang dem Tabellenletzten gar der Ausgleich, den der Schiedsrichter aber aus fragwürdigen Gründen aberkannte. Angeblich sei Keeper Reinke von einem Kölner unterlaufen worden.

Die Saisonweisheit des Sportmagazins kicker, dass an der Weser neuerdings die vermeintlich glücksverwöhnten „Bayern in Grün“ spielen, hatte sich erneut bewahrheitet. Bremens nüchtern kalkulierende Verantwortliche hören es ungern. „Wir sind keine Übermannschaft“, kommentierte Sportdirektor Klaus Allofs, dass der sicher geglaubte Sieg am Ende wackelte. Auch Trainer Schaaf mokierte sich über „wahnsinnig hohe Maßstäbe“. Da ist es kein Wunder, dass Allofs hofft, am drittletzten Spieltag mit uneinholbaren zehn Punkten Vorsprung zum Spitzenduell nach München zu reisen. Erfolg ist schnell vergänglich, dass haben die zurückliegenden 90 Minuten erahnen lassen.