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Zittern gegen acht und Koller

Dank zweier Platzverweise gegen die Dortmunder Frings und Lehmann gewinnt der FC Bayern mit 2:1, baut seinen Vorsprung auf nunmehr fünf Punkte aus – und lässt sich davon blenden

aus München CLAUDIO CATUOGNO

Hier, in den kalten Katakomben des Olympiastadions, soll also die Offenbarung stattfinden. Das haben sie sich beim FC Bayern so ausgedacht, und Pressechef Markus Hörwick rückt schon mal eifrig die Kameras in Reih und Glied. Gleich werden zwei Männer ihr zehntägiges Schweigen brechen, da müssen alle ein bisschen zusammenrücken. „Damit möglichst viele zuhören können“, sagt Hörwick.

Da stehen sie dann, Karl-Heinz Rummenigge, Vorstandsvorsitzender der FC Bayern München AG, und Uli Hoeneß, Manager des gleichnamigen Fußballvereins. Stehen da mit der Wichtigkeit eines wiedererweckten Orakels – und geben doch nur Phrasen zum Besten. Vom Glück des Tüchtigen, vom schrittweisen Vorwärtskommen, vom totalen Schulterschluss. Fußball-Blabla. Hätten sie doch lieber weiter geschwiegen …

Der FC Bayern hat am Samstag mit 2:1 Toren gegen Borussia Dortmund gewonnen. Es war ein turbulentes, ein verrücktes Fußballspiel – zum Schluss stand sogar der Stürmer Jan Koller als Aushilfstorwart zwischen den Dortmunder Pfosten. Doch vor allem war es auch ein schlechtes Fußballspiel, keines, das die Lage des FC Bayern grundlegend verändert hätte. Deshalb war die Einschätzung, dass nach dem Sieg „absolut kein Handlungsbedarf“ mehr bestünde (Hoeneß), reine Schönfärberei – und damit genauso übertrieben wie die Friedhofsmetaphorik der vergangenen Wochen, als etwa Franz Beckenbauer die Mannschaft für tot erklärt hatte. Dem FC Bayern fehlt in seinen Posen das, was er zurzeit doch selbst verkörpert: Mittelmaß.

Wenig ist übrig geblieben vom „weißen Ballett“, von der „besten Bayern-Mannschaft aller Zeiten“. Michael Ballack, Jens Jeremies und Thomas Linke wirken verunsichert, zwingende Torchancen erspielte sich das Team gegen Dortmund fast keine. Selbst Torwart Oliver Kahn hat eine Pechsträhne: Schon in der siebten Minute stand es 0:1, weil Koller einen Schuss von Amoroso unhaltbar in den Torwinkel abfälschte. Doch nach dem Führungstor stellte Dortmund das Fußballspielen praktisch ein – seit dem blamablen 0:3 gegen den SC Freiburg im DFB-Pokal wird schließlich auch der amtierende deutsche Meister mit dem Begriff „Krise“ in Verbindung gebracht. Dede wurde nach fünf Fouls an Hasan Salihamidzic bereits in der 37. Minute ausgewechselt, was später noch wichtig werden sollte. Torsten Frings holte innerhalb von zwei Minuten Bixente Lizarazu und Michael Ballack von den Beinen und sah dafür die gelb-rote Karte (41.). In Überzahl hatten die Bayern dann ein paar starke Minuten, Roque Santa Cruz glich aus (62.) und Claudio Pizarro lenkte einen Sagnol-Schuss zum 2:1 ins Tor (65.). Dann flog auch noch Jens Lehmann wegen unsportlichen Verhaltens gegenüber dem Schiedsrichter vom Platz.

Später, vor den Kameras der Fernsehsender, wo Beleidigungen keine gelben und roten Karten nach sich ziehen, sprach Lehmann vom „blindesten Schiedsrichter, der mich je gepfiffen hat“. Trainer Matthias Sammer zeigte Verständnis für den Wutausbruch des Torwarts, „der kurz vorher immerhin fast den Schädel durchgetreten bekam“. Giovane Elber hatte den Kopf des liegenden Lehmann mit dem Ball verwechselt und so stark abgezogen, dass er sich einen Moment lang vor sich selbst fürchtete.

Weil Sammer schon dreimal ausgewechselt hatte, streifte sich Koller das Torwarttrikot über. Ob er das im Training manchmal übe? „Nein“, sagte Koller später, nur als Jugendlicher stand er mal im Kasten eines kleinen tschechischen Fußballvereins. Die letzten 25 Minuten spielten also zehn Bayern und Kahn gegen acht Dortmunder und Koller. Es wurde die vielleicht peinlichste Schlussphase der bisherigen Bayern-Saison. Von der Tribüne aus sah man sie zittern, kurz vor Schluss misslang sogar ein Rückpass und Kahn landete auf dem Gesäß, sinnbildlich vielleicht.

Man könnte hinter den Rüpeleien der BVB-Stars deshalb auch eine perfide Strategie vermuten: Die Bayern trauen sich nie mehr gegen elf Mann anzutreten – und Dortmund wird wieder deutscher Meister. Bisher aber, und das ist das Absurde an dieser Krise, sind die Münchner mit fünf Punkten Vorsprung Tabellenführer der Bundesliga. „Wir haben gewonnen“, sagte Hoeneß. „Wir wollen deutscher Meister und DFB-Pokal-Sieger werden“, sagte Rummenigge. Niemand legte es ihnen als Überheblichkeit aus. So gibt die Krise des FC Bayern zurzeit vor allem Aufschluss über den Zustand seiner Verfolger.

Bayern München: Kahn - Sagnol (80. Niko Kovac), Kuffour, Linke, Lizarazu - Salihamidzic, Jeremies (76. Fink), Ballack, Hargreaves (46. Pizarro) - Elber, Santa CruzBorussia Dortmund: Lehmann - Reuter, Wörns, Metzelder (63. Kehl), Dede (36. Madouni) - Frings, Rosicky, Heinrich - Ewerthon, Koller, Amoroso (63. Ricken)Zuschauer: 63.000; Tore: 0:1 Amoroso (7.), 1:1 Santa Cruz (62.), 2:1 Pizarro (65.); gelb-rote Karten: Frings wegen wiederholten Foulspiels (41.), Lehmann wegen Meckerns (65.)

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