Zinserhöhung in der Türkei: Zentralbank trotzt Erdoğan
Entgegen der Forderung des Präsidenten hebt die türkische Zentralbank die Leitzinsen an. Sie macht klar, dass die Wirtschaft Devisen braucht.
Die Bank begründete diesen Schritt mit der ständig steigenden Inflation, die zuletzt bei rund 18 Prozent lag. Außerdem hofft sie mit dieser massiven Zinserhöhung auch ausländische Investoren zu beeindrucken, damit diese wieder in die Lira investieren und so den zuletzt dramatischen Verfall der türkischen Währung stoppen.
Tatsächlich gewann die Lira bereits unmittelbar nach der Verkündung der Zinserhöhung kräftig, sodass für einen US-Dollar nicht mehr 6,5 sondern nur noch 6 Lira gezahlt werden mussten.
Ausländische Finanzanalysten äußerten sich in ersten Reaktionen gegenüber der Agentur „Reuters“ durchweg positiv über den Schritt der türkischen Zentralbank. Die Zentralbank habe endlich ihre Unabhängigkeit von der Regierung gezeigt, sagte Ulrich Wortberg von der Helaba. Die Maßnahme schaffe „wieder Vertrauen“, bestätigte auch Thomas Gitzel von der VP Bank.
Trotzdem herrscht allgemein die Auffassung, dass die türkische Währung noch längst nicht gerettet ist. Die Zinserhöhung in der Türkei nützt auch den Währungen in anderen Schwellenländern, die zuletzt ebenfalls unter Druck waren. Der südafrikanische Rand und der russische Rubel legten ebenfalls zu.
Ist die Lira gerettet?
Die Lira hatte zuvor allein in diesem Jahr 40 Prozent gegenüber dem Dollar verloren. Analysten befürchten, dass türkische Banken und Großunternehmen, die Schulden in Dollar haben, nicht mehr in der Lage sind diese zu bedienen, wenn ein Dollar teurer als 7 Lira wird. Insofern war die jetzige Zinsentscheidung der Versuch eines Befreiungsschlages im letzten Moment.
Viele Ökonomen bezweifeln allerdings, dass die türkische Wirtschaft noch vor einem Abrutschen in die Rezession zu retten ist. „Alle Indikatoren sprechen dafür, dass die Türkei im IV. Quartal dieses Jahres ein Minuswachstum aufweisen wird“, sagte der Wirtschaftswissenschaftler Mustafa Sönmez der taz. Auch mit der Zinserhöhung wird nicht genug ausländisches Geld in die Türkei kommen, um die Schulden insbesondere im Privatsektor weiter bedienen zu können.
Um die Lira zu stützen, hatte die Regierung am Mittwoch per Dekret festgelegt, dass Immobilienkäufe aber auch Mieten nur noch auf Lirabasis abgeschlossen werden dürfen. Das nutzt vor allem Mietern von Gewerblichen Immobilien wie beispielsweise in Shopping-Malls, die bislang ihre Miete in Dollar zahlen mussten. Denn auch bestehende Verträge müssen innerhalb eines Monats entsprechend geändert werden.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Hype um Boris Pistorius
Fragwürdige Beliebtheit
James Bridle bekommt Preis aberkannt
Boykottieren und boykottiert werden
Russischer Angriff auf die Ukraine
Tausend Tage Krieg
BSW stimmt in Sachsen für AfD-Antrag
Es wächst zusammen, was zusammengehört
Verfassungsklage von ARD und ZDF
Karlsruhe muss die unbeliebte Entscheidung treffen
Kanzlerkandidat-Debatte
In der SPD ist die Hölle los