piwik no script img

Archiv-Artikel

Ziemlich verkannt: die Kopftuchträgerin

Neue Studie der Konrad-Adenauer-Stiftung: Junge Musliminnen mit Kopftuch sind aufstiegsorientierter als deutsche Frauen insgesamt. Mutterschaft ist nicht das alles überragende Lebensziel. Gleichberechtigte Partnerschaft ist ein hoher Wert

Von HEIDE OESTREICH

Es ist ein herber Schlag für die Bundesbildungsministerin. Eine Studie der CDU-nahen Konrad-Adenauer-Stiftung zum Thema Kopftuch stellt die Lieblingsthese von Annette Schavan (CDU) in Frage. Schavan hatte 1998 den Kopftuchstreit mit der Behauptung geführt, das Kopftuch muslimischer Lehrerinnen sei ein politisches Symbol für den Islamismus und die Unterdrückung der Frau. Deshalb dürfe eine Lehrerin dieses Tuch nicht tragen.

Die Konrad-Adenauer-Stiftung hält dieser These nun eine Befragung Kopftuch tragender junger Frauen in Deutschland im Alter zwischen 18 und 40 Jahren entgegen. Neun von zehn Teilnehmerinnen an der Studie schöpfen aus der Bedeckung „Selbstvertrauen“, anstatt sie als Bekenntnis zur Unterdrückung zu betrachten. Und die politische Einstellung? Gottesstaat? Fehlanzeige: 89 Prozent sind für die Demokratie.

Und wie steht es mit dem altertümlichen Frauenbild, das mit dem Kopftuch angeblich verbunden ist? 94 Prozent der Befragten finden es wichtig, dass eine Ehefrau sich ihre beruflichen Wünsche erfüllen kann. „In der Ehe sollte es bei dem, was der Mann oder die Frau für Haushalt oder Familie tun, keine prinzipiellen Unterschiede geben“, meinen 81 Prozent.

71 Prozent bezeichnen als ihr Lebensziel „vorwärts kommen, es zu etwas bringen“. „Dass ich Erfolg im Beruf habe“ liegt in den Prioritäten mit 59 Prozent Zustimmung noch vor „Verheiratet sein“ (54) und „Kinder haben“ (52). 79 Prozent wollen „möglichst frei und unabhängig“ sein.

Besonders interessant wird es, wenn man diese Werte mit einer Befragung vergleicht, die infratest dimap im März 2005 unter einer repräsentativen Auswahl der Gesamtheit deutscher Frauen durchführte. Von denen wollten nur 35 Prozent „vorwärts kommen und es im Leben zu etwas bringen“. 58 Prozent der Deutschen wollten Kinder haben – das waren sogar mehr als die Kopftuchträgerinnen. In vielen anderen Werten gleichen sich die Aussagen der Kopftuchträgerinnen und der Gesamtheit: „frei und unabhängig sein“, „eine gute Partnerschaft führen“, „finanzielle Sicherheit“ – ähnliche Werte bei beiden Gruppen.

Mit anderen Worten: Die gebärschwachen Deutschen werden von den angeblich unendlich gebärfreudigen Musliminnen beim Kinderwunsch noch unterboten. Und die strenggläubigen Musliminnen sind doppelt so karriereorientiert wie die Gesamtheit deutscher Frauen. Die Studie ist nicht im strengen Sinn repräsentativ. Denn Kopftuchträgerinnen sind keine erfasste Gruppe, deshalb kann man auch keine repräsentative Stichprobe ziehen. Die Forscher behalfen sich damit, 315 Frauen in Moscheen zu befragen, die sie quer durch das politische Spektrum auswählten. Deshalb sind die Ergebnisse wohl durchaus beachtenswert – und auch, was die Forscher daraus folgern.

„Mit einer reinen Antihaltung gegen das Kopftuch ist wenig zu gewinnen“, schließen die Forscher, die Soziologen Frank Jessen und Ulrich von Wilamowitz-Moellendorff. Im Gegenteil: „Dem entgegen steht die allgemein anerkannte Erkenntnis, dass im Interesse einer verbesserten Integration von Migrantenkindern im Schuldienst dringend mehr Lehrkräfte mit Migrationshintergrund eingestellt werden sollten“, meinen die Autoren. In diesem Zusammenhang ist auch bemerkenswert, dass 80 Prozent meinten, dass Türken in Deutschland wie Menschen zweiter Klasse behandelt werden. Die Studie schließt deshalb: „Diese subjektiven Benachteiligungsgefühle verhindern die Identifikation mit dem Land, in dem sie leben“ – und damit die oft geforderte Integrationsbereitschaft.