Zeugwart vom 1. FC Köln: Der Saubermann
Fußballprofis kriegen fast alles hinterher getragen: Volker Hartjens, Mädchen für alles beim 1. FC Köln, hat seine Jungs vom Geißbockheim fest im Griff.
Ein Stakkato hallt von den engen Flurwänden wider. Novakovic, Helmes, Mondragon und Co. klappern in ihren Fußballschuhen die Kellertreppe hinauf. Ein Kofferradio spült Schlager durch das verwinkelte Untergeschoss des Geißbockheims. Volker Hartjens, Zeugwart des 1. FC Köln, kann sich endlich um kleine Reparaturen kümmern, bevor die Spieler vom Training zurückkehren: "Was sie sofort machen müssen, wenn sie vom Platz kommen, ist: die Schuhe vom groben Dreck reinigen. Hier haben wir eine Putzanlage, und drüben ist ein großes Waschbecken dafür." Volker Hartjens ist ein korpulenter Typ und schnörkellos wie ein Vollblutstürmer. Wie es scheint, hat er seine Jungs im Griff. "Die Lederpflege mache ich am nächsten Tag. Aber wer den groben Dreck nicht runterspült, dem stelle ich die Schuhe schmutzig in sein Fach." Oft sind Zeugwarte auf Mannschaftsfotos nicht zu sehen. Wenn sie auf der Bank sitzen, dann ganz außen. Ansonsten findet man sie meist in der Kabine.
Hartjens sitzt im Magazin. Auf dem langen Tisch an der Wand steht eine Werkbank, in der ein Fußballschuh mit einer Klemmschraube befestigt ist. Ein Stollen hat sich verdreht. Drüben neben der Sauna laufen zwei Waschmaschinen. "Bei 30 Mann kommt einiges zusammen an Trikots, Stutzen, Unterziehhemden, Leibchen und und und." Hartjens geht mit dem reparierten Schuh in eine kleine Kammer auf der anderen Seite des Gangs. Dort steht ein Regal, das bis an die Decke reicht. "Sechs, sieben paar Schuhe hat jeder, spezielle Stollenschuhe, Nockenschuhe, für harte Böden diesen Tausendfüßler und natürlich Laufschuhe." Der berühmteste Zeugwart ist wohl Adi Dassler, der weniger damit beschäftigt war, Schuhe zu putzen, als neue Modelle zu entwerfen. Für das WM-Endspiel in Bern entwickelte er einen extra leichten Schuh mit Schraubstollen. Bei dem Regenwetter damals der ideale Stiefel.
Szenenwechsel, Essen-West: Rosemarie Chojnacki sitzt im Vereinsheim und schaut nach draußen. Dort trainieren die Spielerinnen der SG Essen-Schönebeck unter Flutlicht. Sie halten sich wacker auf Platz fünf der ersten Liga. Chojnacki zieht heftig an ihrer Zigarette: "Ich würde sagen, ich bin Mädchen für alles. Watt die Mädchen so wünschen, watt se brauchen. Da sind auch private Sachen: Tempotaschentuch, Kaugummis, alles watt so kommt." Rosemarie Chojnacki ist groß gewachsen, hat schulterlange, blonde Haare und war bis vor kurzem immer dabei. Die eigene Tochter läuft mit der Nummer zwei auf, da macht man halt mit. Hier in Essen-West ist alles eine Nummer kleiner, und so arbeitet die Zeugwartin ehrenamtlich. Nun aber hat Chojnacki am Wochenende einen Job, und der geht vor. "Ich bin auch immer mit ins Trainingslager gefahren. Die sahen mich als zweite Mutter." Nun ist das Ehrenamt auf andere verteilt.
Am Wochenende aber kommt der Moment, auf den Zeugwarte hinarbeiten. Dann sitzt Volker Hartjens angespannt auf der Bank. Denn die unerwarteten Aufträge kommen dann, wenn die Lage außer Kontrolle gerät. Aufträge, für die keine feste Zuordnung besteht. "Wie mit dem Poldi damals bei der Eintracht. Die Frankfurter sind dem mit Ansage auf die Knochen gegangen. Nach 60 Minuten war er am Knie verletzt. Ich musste mit ihm am Heimblock vorbei, und die Fans machten Poldi massiv an. Da kamen auch Gegenstände geflogen, aber dann sind wir schnell im Gang verschwunden."
Manchmal geht es auch in der Kabine rund. "Es gibt Heißsporne, die neigen dazu, wo gegenzutreten. Da kriegt man in der Nachspielzeit einen Elfmeter, der keiner war, und dann muss schon mal, was im Weg steht, dran glauben. Meine Wäschewagen haben etliche Beulen davon."
Rosemarie Chojnacki kann da nicht mithalten: "So watt gab et wirklich noch nich. So Wutausbrüche kenne ich nur von der E-Jugend. Da hat meine Tochter noch bei den Jungs gespielt, da hat ein Junge mal vor die Tür getreten." Manchmal aber macht die Kabine schon vor dem Spiel einen jämmerlichen Eindruck. Und wer anders als der Zeugwart hat ein Logistikproblem, wenn die Jungs ihre Sachen nicht ausbreiten können. Hartjens hat noch bleibende Erinnerungen an das Stadion an der Hafenstraße in Essen. "Die Kabine hat 20 Quadratmeter, und da musst du dann 20 Leute unterbringen. Und wenn alle mit ihren Taschen ankommen, ist das ein heilloses Gedränge."
Nicht zuletzt muss sich der Zeugwart auf den jeweiligen Trainer einstellen, die ja ständig wechseln und alle ihre Eigenarten haben. Manche Trainer können auch komisch werden. Walter Notter, seit vielen Jahren Zeugwart von Mainz 05, musste für Eckhardt Krautzun bei Auswärtsspielen immer den Platz ausmessen, weil jedes Spielfeld unterschiedliche Maße hat. Volker Hartjens ist so was bislang erspart geblieben: "Bei Uwe Rapolder war alles immer sehr kurzfristig. Manchmal saßen wir schon im Mannschaftsbus, und auf einmal kommt noch irgendein Spieler an - und dann fängst du an, hektisch zu werden, weil du noch die Schuhe von dem holen musst."
Überhaupt das Peinlichste: Wenn Millionen von Zuschauern im Fernsehen verfolgen, wie ein Spieler eingewechselt werden soll, der aber plötzlich hektisch in seiner Sporttasche wühlt und feststellt, dass er kein Trikot dabei hat. Oder die falsche Rückennummer trägt. Die Möglichkeiten, Böcke zu schießen, sind für einen Zeugwart endlos. "Man kann manchmal improvisieren, wenn man allerdings den ganz großen Mist baut, dann könnte es eng werden. Aber Trainer oder Manager wechseln da schon häufiger", schmunzelt Hartjens und kramt Trikots aus dem Trockner.
Rosemarie Chojnacki hat bislang nur einmal einen Arztkoffer im Vereinsheim stehen lassen, und der ist verzichtbar, weil der gegnerische Verein auch einen hat. Wichtig, man weiß es, ist allein auf dem Platz, und da vor allen Dingen das Schuhwerk. Man denke an Adi Dassler und seine Traumkarriere. "Da kann ich mich noch hocharbeiten", lacht Rosemarie Chojnacki und zieht zufrieden an ihrer Zigarette.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!