Zentrum Kreuzberg: Problemschlange mit Bar
Im Zentrum Kreuzberg blüht das Kulturleben - obwohl das marode Gebäude nach wie vor ein Treffpunkt der Drogenszene ist. Viele Gewerbemieter engagieren sich für die Aufwertung des Hauses
"Ey, ich zähl jetzt bis drei. Wenn du bis dann nichts sagst, ist es für immer vorbei!" Vor Robert Gfaders Atelier spielt sich gerade ein Beziehungsdrama ab. Ein junger Mann brüllt seit einer Viertelstunde in sein Mobiltelefon, tigert auf und ab. Treppe, Nachbarschaftscafé, Wettbüro, Atelier. Und wieder zurück. Ein abschließendes "Scheiße" schallt durch den Hof, dann ist es still.
Der Maler Robert Gfader hat nicht einmal den Pinsel niedergelegt. Bewegte Szenen ist er gewohnt, schließlich liegt sein Atelier mitten im berüchtigten "Zentrum Kreuzberg". Der über die Straße gebaute Sozialbaukomplex am Kottbusser Tor gilt seit seiner Fertigstellung in den Siebzigerjahren als urbaner Problemfall: ästhetisch verunglückt, sozial gefährdet, finanziell unrentabel. 1998 wollten Politiker wie der Ex-CDU-Fraktionsvorsitzende Klaus Landowsky den sozialen Brennpunkt sogar sprengen. Dazu kam es zwar nicht, doch finanziell ist die privat bewirtschaftete Immobilie bis heute ein Desaster: 40 Millionen Euro Schulden bei der Investitionsbank Berlin (IBB), deren Tilgung 2004 für zehn Jahre ausgesetzt wurde. Das Land kostet das Zentrum Kreuzberg jährlich mindestens 1 Million Euro Zinsen.
Während das Wohnhaus nahezu voll vermietet ist, stehen viele der Gewerbeflächen leer. Die Mehrzahl der dort ansässigen Arztpraxen schloss in den vergangenen Jahren, geblieben sind die zahlreichen Heroinsüchtigen, die seit 20 Jahren die verwinkelten Seitenarme des Gebäudes zum Drücken und Dealen nutzen. Dennoch haben sich in den letzten Jahren auch immer mehr Künstler und Szenegastronomen zwischen Wettbüros, Sozialvereinen und Dönerläden niedergelassen.
Robert Gfader nutzt seit einem Jahr vierzig schmucklose Quadratmeter auf der Betongalerie im ersten Stock. Großformatige Ölgemälde lehnen an der Wand, der Boden ist mit Farbtuben bedeckt und Plastikeimern, weil es hineinregnet. Computer und andere Wertsachen lässt der Künstler lieber zu Hause, wo er auch seine Videoarbeiten anfertigt. "Als Büro ist das hier nicht nutzbar", sagt er. Trotzdem verlängert er seinen Zwischennutzungsvertrag alle paar Monate neu, er schätzt "die wilde Umgebung", zu der sich immer mehr Gleichgesinnte gesellen: Nebenan arbeiten andere Maler und eine Galerie. "Es geht langsam aufwärts", ist seine vorsichtige Prognose.
Sebastian Figal sieht das nicht so optimistisch. "Es ist schon finster im Haus", sagt er. Das Atelier des Bühnenbildners liegt ein paar Meter näher an der Ecke, hinter der es anstrengend wird. Im schmalen Durchgang zur Skalitzer Straße verrichten die Junkies ihr Geschäft, oft buchstäblich. Zum Dreck kommen gewalttätige Auseinandersetzungen, ständiger Besuch von Polizei und Notarzt und Einbrüche. "Uns lassen sie in Ruhe, weil klar ist, dass es hier nichts zu holen gibt." Figal deutet auf Pappmodelle, Stoffreste und drei alte Schreibtische. Die 40 Quadratmeter teilen sich zwei Bühnenbildner und eine Modemacherin. Aber wenn er abends allein arbeite, schließe er immer die Tür ab, sagt Figal. Auch den Gang zu den Mülleimern, die in einer finsteren Hofecke liegen, tritt er nicht gern an. Trotzdem will die Ateliergemeinschaft bleiben. "Es ist unglaublich zentral. Und es gibt zum Glück noch andere Künstler in der Nähe."
Direkt im Durchgang liegt die winzige Paloma-Bar. Seit 2006 schätzen Szenegänger, die im sogenannten Bermuda-Dreieck zwischen den Clubs West Germany, Festsaal Kreuzberg und Monarch unterwegs sind, den urbanen Blick aus den schrägen Fenstern auf die Hochbahn. Auch die Junkies im Flur gehörten bislang irgendwie zum Panorama. Doch seit im Frühjahr das verwahrloste Parkhaus des Kreuzberger Zentrums wegen Renovierungsarbeiten schloss, stieg die Zahl der Fixer in diesem Teil des Gebäudes dramatisch an, die Paloma-Bar war unter Dauerbelagerung. Barbetreiber Ingo Ohm wurde bei der Hausverwaltung vorstellig und beim Quartiersrat, schloss sich mit dem arabischen Frauenverein auf der Etage kurz. Sogar bei der Drogenhilfe-Organisation Fixpunkt war er, um sich ein Bild von der Lage zu machen. "Ich will mich kümmern und nicht nur nach Law-and-Order-Lösungen schreien", sagt Ohm. Dass die Hausverwaltung Mitte Oktober Tore in die Eingänge zur Skalitzer Straße bauen will, könnte Ohm den Betrieb erleichtern. Auch wenn er findet, dass sich gesellschaftliche Probleme durch punktuelle Vertreibung nicht lösen lassen.
Mehr Druckräume und eine engagiertere Drogenpolitik, das fordert auch Astrid Leicht, Leiterin von "Fixpunkt". "Wenn wir einen rund um die Uhr geöffneten Raum für den Drogenkonsum hätten, wäre das Zentrum Kreuzberg entlastet. Momentan ist die Situation auf den Gewerbeflächen problematisch." Zu den bekannten Altfixern gesellten sich zunehmend jüngere Konsumenten aus anderen Stadtteilen oder den neuen Bundesländern. Auf rund 200 Konsumenten schätzt Leicht die Szene, die sich auf Treppen und Fluren des Betonklotzes ausbreitet.
Wenigstens im Wohnhaus sei es sicherer geworden, findet Celalettin Aktürk. Auch auf den Gewerbeflächen tue sich etwas. Beides ein Verdienst der Hausverwaltung: Sie ließ neue Schließanlagen einbauen und lockt Kreative mit günstigen Zwischennutzungsverträgen. "Die haben eingesehen, dass es so nicht weitergeht, und tun was." Dass der Inhaber des Dönerimbisses im Erdgeschoss für die Vermieter lobende Worte übrighat, überrascht. Seit 1981 lebt und arbeitet er im Haus, als Mitglied des Mieterbeirats verzweifelte er oft genug am mangelnden Engagement der Hausverwaltung. Seitdem der ehemalige Betreiber Ackermann die Geschäfte an die Kremer Hausverwaltung abtrat, ist das Klima konstruktiver geworden.
Probleme machen Aktürk seit einiger Zeit eher die Mieter. "Im Haus wohnen immer mehr Hartz-IV-Empfänger, die sich für nichts verantwortlich fühlen", klagt er. Zu hohe Nebenkosten? Veraltete Heizanlage? Egal, das Amt bezahlt sowieso, sei die weit verbreitete Einstellung. Irgendwann schlief der Mieterbeirat ein, Aktürk kümmert sich seither nur noch um den Laden - und seinen Verein "Schatz e. V." Die Hausaufgabenbetreuung entstand, weil Aktürk jeden Nachmittag so viele Schüler herumhängen sah, um die sich niemand kümmerte. In den Räumen einer ehemaligen Zahnarztpraxis geben seitdem drei Lehrer ehrenamtlich Nachhilfe. Seit Anfang 2008 die Förderung für das Projekt wegfiel, zahlt Aktürk die anfallenden Kosten aus eigener Tasche. "Von der Politik erwarte ich nichts mehr", sagt er bitter.
Auch Richard Stein hat das Zentrum Kreuzberg eine Enttäuschung bereitet. Sein Plan, das Haus zu einem privat finanzierten Kaufhaus für Kreative zu machen, scheiterte an grotesken finanziellen Forderungen der Hausverwaltung und mangelnder Unterstützung durch die Politik. "Ein Haufen verschwendete Energie", resümiert Stein vier Jahre nach dem Tod des ehrgeizigen Projekts. Geblieben ist dem Gastronomen ein Mietvertrag für seine Kneipe Möbel Olfe am Durchgang zur Dresdner Straße. Von dort blickt er auf das leer stehende Gebäude mit der großen Terrasse, an dem nicht nur er scheiterte: 2007 versuchte sich ein Istanbuler Geschäftsmann darin mit einer türkischen Restaurantpassage - nach wenigen Monaten war er pleite.
Für Stein ist das kein Trost. "Das ist ein Ort, der belebt gehört", findet er immer noch. Zum Christopher Street Day nahm er die Räume für ein paar Tage als Partyort in Beschlag - dank des offeneren Kurses der Hausverwaltung kein Problem mehr. Von langfristigem Engagement will der Gastronom, der in Schöneberg eine zweite Kneipe betreibt, aber nichts mehr wissen. "Nochmal verbrenne ich mir hier nicht die Finger."
An das Potenzial des Betonklotzes am Kotti glaubt der Möbel-Olfe-Betreiber aber weiterhin. "Wir Gewerbemieter haben hier ein gutes Miteinander entwickelt", sagt er. Zusammen mit der Paloma-Bar, dem Festsaal Kreuzberg, dem Lottoladen und anderen hat sich Stein in den Quartiersrat wählen lassen. Damit das Schlachtschiff weiter auf gutem Kurs bleibt.
Wenn Stein die Olfe verlässt und die Treppe zur Galerie im ersten Stock nimmt, könnte er fast denken, dass sein Konzept doch noch Realität geworden ist. Die offenen Türen der Ateliers und Galerien könnten die Zukunft des Kreuzberger Zentrums sein. Wenn nicht wieder irgendein Immobilienskandal dazwischenkommt.
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