Zentralstelle für Kriegsdienstverweigerer: Wegen Erfolgs geschlossen
Vom Vaterlandsverräter zum Helfer - das Bild derer, die den Dienst an der Waffe ablehnen, hat sich gewandelt. Auch dank des Chefs der Zentralstelle für Kriegsdienstverweigerer.
BOCKHORN taz | Es endet alles in einem alten Kinderzimmer. An einer Wand hängt noch ein Poster von Janis Joplin, das eine der beiden Töchter einst beim Auszug zurückließ. Neben dem Schreibtisch mit einem schicken neuen Rechner steht ein Schrank mit Aktenordnern. Nicht viel für eine 54 Jahre alte Organisation.
"Die meisten Unterlagen sind schon in Berlin, im Evangelischen Zentralarchiv", sagt Peter Tobiassen. Nicht entschuldigend klingt er da, auch nicht wehmütig, obwohl der 56-Jährige hier sein Lebenswerk zu den Akten legt. Für Tobiassen ist das einfach so: Er hat für ein Ziel gearbeitet, 33 Jahre lang, und jetzt ist es erreicht. Ende, aus.
Ist er nicht trotzdem traurig? Tobiassen blickt ein paar Sekunden stumm durch seine schmal geränderte Brille. "Nöö", sagt er dann, "nöö, das wäre ja komisch."
Die Einrichtung: 1957, ein Jahr nach Gründung der Bundeswehr, entstand die Zentralstelle KDV als Dachorganisation für zuletzt 26 Institutionen, die aus dem einen oder anderen Grund für das Recht auf Kriegsdienstverweigerung eintraten. Gewerkschaften und Parteiennachwuchs, Kirchen- und Friedensgruppen fragten hier nach, wenn die eigenen Berater Beratung brauchten.
Die Arbeit: Das größte Pfund der Zentralstelle war ihr Ruf. Sie galt als absolut unabhängig. Neun Zehntel der Einnahmen der Zentralstelle kamen aus Spenden von Einzelpersonen und von Fördermitgliedern. Geld aus staatlichen Programmen, fürchteten Vorstand und Mitarbeiter, könnte sie dazu nötigen, zu schweigen, wo sie frei sprechen wollten. (mlo)
Peter Tobiassen ist ein großer, schlanker Mann, der beim Reden zügig auf den Punkt kommt. "Wenn ich jetzt traurig wäre", sagt er ruhig, "dann wäre ich ja wie ein Forscher, der gegen eine Krankheit geforscht hat und sich dann aufregt, dass die Medizin gefunden ist."
Die Krankheit, welcher der trockene Norddeutsche sein Arbeitsleben gewidmet hat, das war die Wehrpflicht. Der angebliche Pfeiler bundesrepublikanischer Werte ist seit diesem Sommer Geschichte, und mit ihm der Zivildienst. Und damit endet auch die Arbeit des Geschäftsführers und letzten Angestellten der "Zentralstelle für Recht und Schutz der Kriegsdienstverweigerung aus Gewissensgründen e. V.". Kurz: Zentralstelle KDV. Tobiassen hat sein Leben lang daran gearbeitet, seinen Job überflüssig zu machen, und jetzt ist es so weit.
Tobiassen setzt sich auf die Terrasse vor seinem Haus, in dem seine Frau aufgewachsen ist. Es wäre die perfekte Idylle hier in der friesischen Gemeinde Bockhorn, Ortsteil Ellenserdammersiel. Wären da nicht der Lärm von Autobahn und Bahnstrecke nach Wilhelmshaven, der hinüberhallt. Tobiassen, der sein ganzes Leben in dieser Gegend verbracht hat, hat viel Zeit jetzt. Sein Bürotelefon klingelt nur noch selten. Noch vor einem Jahr riefen jeden Tag Dutzende junger Männer an, die wissen wollten, wie sie der Einberufung zur Bundeswehr entgehen konnten. Erst recht, als sie fürchten mussten, zu den allerletzten Wehrpflichtigen zu gehören.
Behördendeutsch
Mehreren zigtausend Ratsuchenden hat Tobiassen in den vergangenen 33 Jahren bei der Zentralstelle geholfen. Fünfzehn bis 20 Beratungsgespräche waren es am Tag. Wenn die Wehrpflicht eine Krankheit war, dann bestand Tobiassens Therapieansatz aus Gesprächen und geduldigen Erklärungen.
"Lesen Sie mal das", sagt Tobiassen und zeigt Zettel mit ausgedruckten E-Mails. In einer bittet "Anonym" um Hilfe. Er habe seinen Antrag auf Kriegsdienstverweigerung nicht fristgerecht eingereicht. Jetzt habe ihm das Amt einen "Abhilfebeschied" geschickt, gegen den er "Klage beim zuständigen Verwaltungsgericht einlegen" könne. Tobiassen schrieb zurück: "Hallo Anonym, wogegen wollen Sie vorgehen? Sie sind mit diesem Bescheid doch als Kriegsdienstverweigerer anerkannt." Der junge Mann hatte das Behördendeutsch nicht verstanden.
Etwas ungehalten kann Tobiassen auch werden. "Sehr viele Ratsuchende fragten, was die Behörde denn hören wolle. So ein Irrglaube. Da ist eine Menge Untertanengeist dabei." Denn viele Wehrpflichtige hätten gar kein Bewusstsein dafür gehabt, was es heißt, ein Recht auf Kriegsdienstverweigerung zu haben. Eine Gewissensentscheidung muss niemand einer Behörde gegenüber begründen. Ein Gewissen kann man nämlich nicht überprüfen. Tobiassen sagt: "Das war den Sachbearbeitern im Bundesamt für den Zivildienst manchmal schwer beizupuhlen."
Wohl kaum jemand kennt sich im Dickicht aus Anträgen, Fristen und Widersprüchen besser aus als der gelernte Sozialarbeiter. "Ich bin da so reingerutscht", sagt Tobiassen.
Kaum Geld und kleine Büros
Im Jahr 1973 stellte er seinen eigenen Antrag auf Kriegsdienstverweigerung. Nach zwei Jahren Behördenhickhack leistete er seinen Zivildienst in einem Bremer Kinderladen - damals noch 16 Monate. Tobiassen wurde Vertrauensmann der Zivis, arbeitete für deren Selbstorganisation. Im Jahr 1978 fing der Mann mit den hellblonden Haaren an, bei der Zentralstelle auszuhelfen.
Weil deren damaliger ehrenamtlicher Vorsitzender Ulrich Finckh in Bremen Gemeindepastor war, nahm die Zentralstelle seit Anfang der siebziger Jahre ihren Sitz in der Hansestadt. Viel Geld und große Büros hatten sie ohnehin nie. Auch seine eigene Stelle musste Tobiassen erst erfinden. Geld kam anfangs durch Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen. Später habe das Arbeitsamt sie nicht mehr unterstützen wollen, erzählt Tobiassen: weil die Zentralstelle doch eine staatsfeindliche Organisation sei.
Dabei beschränkte sich die Zentralstelle von ihrer Gründung an auf einen einzigen Punkt. Immer wieder erinnerten sie schlicht an Paragraf 4 des Grundgesetzes: "Niemand darf gegen sein Gewissen zum Kriegsdienst mit der Waffe gezwungen werden." Doch wer das tat, machte sich verdächtig. Damals legte Franz Josef Degenhardt in seinem Lied "Befragung eines Kriegsdienstverweigerers" einem Richter die Frage in den Mund: "Also, Sie berufen sich hier pausenlos aufs Grundgesetz. Sagen Sie mal, sind Sie eigentlich Kommunist?"
Tobiassen hat den gesellschaftlichen Wandel seither hautnah miterlebt: Von feigen Vaterlandsverrätern wandelten sich die Zivis in der öffentlichen Wahrnehmung zu den unverzichtbaren Helfern im Alltag. Darüber hat er sich, anders als viele Linke, nicht gefreut. Im Gegenteil. "Man hat die gesellschaftliche Dienstleistung anerkannt, nicht die Kriegsdienstverweigerung." Die Begründung des Zivildiensts hält er für irrwitzig: "Warum soll jemand Ersatzleistungen bringen für etwas, das er für ein Verbrechen hält? "Das ist in etwa so, als bringe ein Ehemann eine Ersatzleistung, weil er keinen Ehebruch begeht."
Deshalb ist Tobiassen auch stolz darauf, dass er den weit verbreiteten Glauben an die Unverzichtbarkeit der Zivis erschüttert hat. Tobiassens Waffen waren die Zahlen. Rohmaterial lieferten ihm kleine Anfragen von Linken- und Grünen-Politikern ans Verteidigungs- oder Familienministerium. Aus denen zog er seine Schlüsse. Einmal erklärte er, das Sozialwesen könne gar nicht zusammenbrechen, wenn die Zivis ausbleiben, denn sie bildeten ja nur ein bis zwei Prozent der Mitarbeiter. "Das war eine grobe Schätzung. Aber niemand widersprach. Sie musste also stimmen."
Die kleine Zentralstelle schaffte es wieder in die Zeitung. Manche seiner Zahlen schafften es vor ein paar Jahren gar bis in eine Urteilsbegründung des Bundesverfassungsgerichts. Der Mentalitätswandel, findet Tobiassen, ist auch das Werk seiner kleinen Organisation: "Ich glaube nicht, dass der Wandel uns geprägt hat. Wir haben diese Debatte geprägt."
Selbstabwicklung
Als der Vorsitzende Finckh 2003 sein Amt abgab, verlagerte Tobiassen das Büro einfach vom 80 Kilometer entfernten Bremen nach Bockhorn: ins Dachgeschoss des Nachbarhauses. Zu dritt arbeiteten sie hier bis Ende vergangenen Jahres. Das Ende der Wehrpflicht habe er kommen sehen, sagt Tobiassen. Schon die Einführung der sechsmonatigen Dienstzeit zeigte: Nicht nur die Wehrgerechtigkeit war seit Langem ein Witz. Auch der Gedanke, Rekruten in immer kürzeren Zeitläufen auszubilden, war unrealistisch.
Seit Februar verwaltet Tobiassen nun seine eigene Abwicklung im ehemaligen Kinderzimmer. Das spart Miete. Ende des Monats ist auch hier Schluss. Dann stellt er das Infotelefon ab. Das Ende von 54 Jahren Zentralstelle KDV. Bewerbungen für einen neuen Job sind raus, sagt Tobiassen nur.
Bis heute bekommt er Anrufe. Erst am Vortag riefen zwei Zeitsoldaten an: ein Mann, der nach 13 Jahren bei der Armee Zweifel an seiner Arbeit bekommt, weil er die Welt seit der Geburt seines Kindes anders sieht. Und eine junge Frau, die vor zwei Jahren, mit 17, zum Bund ging. "Stellen Sie sich das vor", sagt Tobiassen. "In Deutschland gibt es Kindersoldaten."
Es wird Abend, Tobiassen muss los, zu einer Baustelle in Oldenburg. Seine Frau, eine Berufsschullehrerin, und er haben das Haus schon verkauft. Ihre beiden erwachsenen Töchter leben in Göteborg und Berlin. Die Tobiassens wollen nicht alt werden in der Einsamkeit Frieslands. Darum ziehen sie mit Mitte 50 noch einmal um. In ein Mehrgenerationenhaus mit Jungen, Alten und Kindern. Die Entscheidung haben sie schon vor der Aussetzung der Wehrpflicht gefasst. Die künftigen Eigentümer planen und lassen selbst bauen.
Tobiassen macht wieder den Geschäftsführer. Er organisiert das Ganze und er vermittelt, wenn es Streit über die Farbe der Türen gibt. Ob er sich freue über die neue Zeit? Tobiassen überlegt kurz. "Jooh", sagt er dann, "jooh."
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