■ Zentrale Gedenkstätte in der Bundeshauptstadt: Das Einerlei der Opfer
Am Donnerstag abend hat das Bundeskabinett den Streit um die Errichtung eines zentralen Mahnmals beendet mit der Entscheidung für Schinkels „Neue Wache“ an der Straße Unter den Linden in Berlin. Einst die Zierde der preußischen via triumphalis zwischen Stadtschloß und Brandenburger Tor wurde sie Symbol eines geeinten Volkes, das dem französischen Despoten im europäischen Freiheitskrieg getrotzt hatte. Später war die „Neue Wache“ Schauplatz
militärischer Aufzüge, bis Heinrich Tessenow sie
schließlich 1931 zum granitsteinernen Ehrenmal
für die Gefallenen des Ersten Weltkriegs umgestal-
tete.
Nun soll sie „den Opfern von Krieg und Gewaltherrschaft“ gewidmet sein, also Wehrmachtsoldaten, russischen Kriegsgefangenen, Homosexuellen, Mauerflüchtlingen, Kommunisten, Sinti und Roma und sechs Millionen europäischer Juden gleichermaßen. Auf persönlichen Wunsch des Kanzlers wird eine Plastik von Käthe Kollwitz, „Trauernde Mutter und Sohn“, den Innenraum zieren. Aus der DDR-Gedenkstätte, vor der einst NVA-Soldaten im Stechschritt um eine ewige Flamme marschierten, bleiben nur die Urnen mit Erde aus neun Konzentrationslagern und von Schlachtfeldern im Osten und im Westen. Im Arrangement dieses zentralen Mahnmals mit der Gedenkstätte „Deutscher Widerstand“ kann der Berlin-Besucher lesen wie in einem Buch: Das künftige Deutschland – so wird suggeriert – ist Erbe Preußens und seiner aufrechten Enkel in der deutschen Wehrmacht. Gelesen als Ensemble mit der „Topographie des Terrors“ und der Wannsee-Villa erscheint der Nationalsozialismus als ein Intermezzo, dessen Täter sich auf dem Prinz-Albrecht-Gelände genau lokalisieren lassen (nicht etwa eine ganze Gesellschaft), und die Vernichtung der europäischen Juden als Resultat eines zentralen Befehls und nicht eines Ineinandergreifens aller sozialen Ebenen.
In der christlichen Ikone der Pietà verschwimmt die Vernichtung der europäischen Juden zum Bild der geschundenen Kreatur schlechthin, die Opfer alle gleich, keine Namen, keine Schuld, dafür endlich ein öffentliches Versprechen der Erlösung. Schwer zu sagen, worüber man mehr erschreckt: die brutale Indifferenz, die schamlose Apologie oder die hochherrschaftliche Beendigung einer Debatte, die noch
nicht einmal begonnen hatte, eine gesellschaftli-
che Entscheidung darüber herbeizuführen, wer um
wen in wessen Namen trauert.
Mariam Niroumand
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