: „Zensureisberg“ statt Dialog
■ Senator Thomas Mirow hat so seine eigenen Vorstellungen vom „Offenen Dialog“ / Stadtentwicklungsbehörde wird auf Linie gebracht Von Uli Exner
Am 6.Juli platzte Stadtentwicklungssenator Dr. Thomas Mirow, gewöhnlich ein Ausbund guten Benimms, der Kragen: „Unfaßbar ist das! Warum wird mir so etwas nicht rechtzeitig vorgelegt! Wie konnte das passieren?“
Anlaß des Mirowschen Wutausbruchs: Ein schlichtes kleines Faltblatt, auf dem zu einem Stadtrundgang in St.Pauli eingeladen wurde: „Ein Rundgang zu verhinderten und realisierten Projekten“ hieß es da freundlich Blau auf Grün. Als Stadtteilführer firmierte die Stattbau GmbH, ein städtisch finanzierter Sanierungsträger, „in Zusammenarbeit mit der Stadtentwicklungsbehörde“(Steb).
Den Zorn Mirows erregte vordergründig ein einziger Satz, der sich in der Beschreibung zur Station 12 des Rundgangs, den Häusern Pinnasberg 74/76 findet: „Trotz fertiger Planungsunterlagen wurde durch einen Senatsentscheid 1988 die Umsetzung gestoppt und die Häuser wurden dem Verfall und letztlich dem Abriß preisgegeben. Jetzt entstehen dort Neubauten.“
Mirow, Anfang 1988 noch Senatssprecher Klaus von Dohnanyis, schäumte: Aus gutem Grund habe man dort abgerissen und sich für Sozialwohnungsneubau entschieden. Der Steb-Chef ordnete die sofortige Einziehung der restlichen Faltblätter an – ein Befehl, dem die Stattbau GmbH umgehend nachkam. Künftig, so Mirows weitergehende Weisung, seien ihm alle derartigen Schriftstücke zur Unterzeichnung vorzulegen, bevor sie das Haus verlassen.
Der Steb-Chef ordnete die sofortige Einziehung der restlichen Faltblätter an
Eine Episode zum Schmunzeln? Eher die Spitze eines „Zensureisbergs“, wie MitarbeiterInnen der Steb finden, die Mirow-Vorgängerin Traute Müller auf „offenen Dialog“ eingeschworen hatte:
Beim von Sozialbehörde und Steb mitfinanzierten Buch „Selber machen/ Anders wohnen“, einer Bilanz von 10 Jahren Alternativer Baubetreuung (ABB) in Hamburg, versagte Mirow zwei Beiträgen des Soziologen Jens Dangschat seinen Segen. Die Ansage: „Sonst zahlen wir nicht.“ Der Wissenschaftler zog seine Texte daraufhin zurück.
Auch dem Dangschat-Ersatz Joachim Reinig, einem Architekten ten, der sich in Hamburgs Baubetreungsszene bestens auskennt, ging es nicht viel anders: In vorauseilendem Gehorsam verweigerten Steb-BeamtInnen die Annahme des Reinig-Textes wg. Kritik.
Reinig hatte sich erdreistet, seine Thesen über die Notwendigkeit des Ausbaus der Alternativen Baubetreuung zum Standardmodell für Sanierung und Neubau mit Kritik an Mirows Oberbaudirektor Egbert Kossak zu garnieren. Der plane „immer noch Perlen am Elbufer und Gewerbeflächen ohne Ende“, statt sich den wirklichen Problemen dieser Stadt zuzuwenden. Mehr noch: Ohne vorher gefragt zu haben, kritisierte Reinig auch noch das derzeit laufende Steb-Vorzeige-Projekt, den Architektensommer. Dessen Marketing sei ihm zu einseitig auf Glamour und High-Tech-Architektur ausgerichtet.
Inzwischen ist das Jawort des Senators unabdingbar. Und das dauert dann eben.
Nach mehrfachem Hin und Her lieferte Reinig eine gesäuberte Fassung, die dann auch ein vorläufiges OK der Zensoren fand. Kleines Manko: Wegen des inzwischen unabdingbaren Jaworts des Senators konnte das Buch gestern nicht, wie ursprünglich vorgesehen, zum Sommerfest der Lawaetz-Stiftung präsentiert werden.
Eindrucksvolle Interventionen Mirows und Kossaks auch bei einer einer Steb-Diskussionsveranstaltung Mitte Juni in den Deichtorhallen zum Thema „Wohnen am Wasser“: Weil dort ein vom für das Hafengebiet verantwortlichen „Amt für Strom und Hafenbau“ abgelehntes Wohnungsprojekt am Reiherstieg (liegt in Wilhelmsburg, aber auf Hafengebiet) diskutiert werden sollte, drückte Mirow einen Mitarbeiter des Hafenamts aufs Podium. Gleichzeitig untersagte der Baudirektor der Vertreterin der Steb, zu diesem Thema Stellung zu beziehen.
Während Mirows Aktionen bei Außenstehenden eher Kopfschütteln auslösen, sich das Klima innerhalb der Steb nach Aussagen von Mitarbeitern zusehends abkühlt, wirbt der Senator selbst um Verständnis für sein Vorgehen. Von der Steb finanzierte Broschüren dienten nunmal „der Darstellung von Senats- und Behördenhandeln“. Für „Kritik und Polemik“, so der Senator zur taz, gebe es in Hamburg ausreichend Möglichkeiten zur öffentlichen Präsentation.
Nun ja, wir geben unser bestes und veröffentlichen den von Mirow gecancelten Beitrag „Eine Hamburger Familiengeschichte“ von Jens Dangschat auf Seite 23 dieser Ausgabe.
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