Zensur: Der beleidigte Schulleiter
Der Leiter eines Gymnasiums in Dannenberg geht gegen eine Satire in der aktuellen Abi-Zeitung vor. Sie beschäftigt sich mit autoritärem Handeln an der Schule.
HAMBURG taz | Eigentlich ist Jürgen Thiele ein entspannter Mensch. Das Haupthaar schon ein wenig schütter, der Gang forsch und ausladend, oft schaut er verschmitzt drein.
Doch dieser Ausdruck dürfte ihm beim Durchblättern der aktuellen Abi-Zeitung des diesjährigen Abiturjahrgangs an seiner Schule, dem Fritz-Reuter-Gymnasium, entglitten sein. Der Grund: Auf einer der Seiten findet sich eine Satire, die er nicht erwartet hatte wiederzusehen. „Damit hat der Jahrgang eine Grenze überschritten“, sagte Thiele der Elbe-Jeetzel-Zeitung, und fühlt sich durch das Abgedruckte „beleidigt, sogar diffamiert“.
Gegenstand der Diskussion ist ein Flugblatt, das bereits im Frühjahr 2011 in der Schule umging. Damals verbat er die Verbreitung der zehn Punkte umfassenden Schrift. In ihr wird, als offizielles Schulschreiben verpackt, die Ausgrenzung von Andersdenkenden und das autoritäre Handeln an der Schule beanstandet. Nun tauchte sie in der „Trash-Corner“ der Zeitung wieder auf. Thiele sieht in dem Flugblatt ein Angriff auf seine Persönlichkeitsrechte.
Schulleiter Jürgen Thiele ist seit 1979 am Fritz-Reuter-Gymnasium.
Verantwortliche Redakteure von Print-Medien dürfen nach § 9 des Landespressegesetzes nicht unter 21 Jahre alt und müssen außerdem "uneingeschränkt geschäftsfähig" sein. Für eine Schüler-Zeitung gilt dies nicht.
Markus Maul vertritt die Schüler und war für fünf Jahre bei Axel Springer als Justitiar tätig.
Der Verfasser des Flugblattes ist nach wie vor unbekannt. Es wird vermutet, er stamme aus dem Kreise des Abiturjahrganges.
Es erzürnte ihn so sehr, dass er seine Anwälte damit beauftragte, die Verbreitung des 163 Seiten starken Buches zu verhindern. Angeblich soll Strafanzeige gegen die Redaktionsmitglieder der Zeitung erstattet worden sein, die Staatsanwaltschaft Lüneburg hatte sie gestern Mittag allerdings noch nicht in ihrem System. „Es kann aber gut sein, dass sie bereits auf dem Weg zu uns ist“, sagte Oberstaatsanwalt Roland Kazimierski.
In einem Schreiben an alle Mitarbeiter des Abi-Buches stellte Thiele über seine Anwälte darüber hinaus weitere Forderungen auf: Sie sollten eine Unterlassungserklärung unterzeichnen, auf weitern Vertrieb verzichten, alle bisher verkauften und verteilten Bücher zurückbeordern, dieses auch nachweisen und sich schriftlich und persönlich bei ihm entschuldigen. Außerdem soll eine Entschuldigung und Richtigstellung auch in der örtlichen Tageszeitung erscheinen.
Schweres Geschütz, das den Schülern keine Angst zu machen scheint. Sie verkauften nach dem erteilten Hausverbot ihre Zeitungen auf dem Marktplatz im Ort weiter, nahmen sich ihrerseits einen Anwalt, Markus Maul. Er sieht die Vorwürfe des Schulleiters nicht bestätigt: „Das ist eindeutig Satire, es gibt kein Grund, sich zu entschuldigen.“ Auch Sebastian Nikoloff sind solche Fälle schon öfter untergekommen, er ist Mitglied im Bundesvorstand bei der Jugendpresse Deutschland, die Zensur-Thematik ein wichtiger Teil seiner Arbeit. „Mit dem konkreten Fall bin ich nicht vertraut, aber es klingt, als sei das insgesamt eine überzogene Reaktion. Im schulischen Raum sind Lehrer, zumindest in gewisser Weise, durchaus Personen des öffentlichen Interesses. Sie sollten darum besonnen handeln“, sagte er.
Das Flugblatt haben die Schüler mittlerweile mit der Überschrift: „Achtung, dies ist eine Satire“ versehen. Nicht aus Rechtsverpflichtung, eher für den „flüchtigen Beobachter“, wie Rechtsanwalt Maul süffisant bemerkt.
Am Freitagnachmittag sollte es ein Treffen aller Beteiligten im Beisein ihrer Anwälte geben. Doch dazu kam es nicht, nachdem Maul der Anwältin von Thiele die Position seiner Mandanten verkündet hat. Die wiederum, so Maul, will jetzt eine einstweilige Verfügung erreichen.
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