: Zensur mit der Rohrstange
■ Zehn Vermummte mischten in Berlin–Kreuzberg das Alternativ–Kino auf / Grund: Die Vorführung eines amerikanischen Underground–Pornos / Die Gang entkam mit 1.500 Mark aus der Abendkasse
Aus Berlin C.C. Malzahn
Das selbstverwaltete „Eiszeit“– Kino in Berlin Kreuzberg ist am Montag abend von etwa zehn Menschen überfallen worden, weil die Besitzer im Abendprogramm den Hardcore–Porno „Fingered“ zeigen wollten. Der amerikanische Underground– Streifen lief schon in mehreren anderen Berliner Kinos. Mit den Worten „Wenn Ihr euch nicht rührt, passiert euch nichts!“ stürmten gegen 22.30 Uhr etwa zehn vermummte Personen mit abgesägten Rohrstangen die Eingangshalle des Kinos, verriegelten den Zugang zum Zu schauerInnenraum und hielten zwei Mitarbeiter in Schach. Binnen zwei Minuten zerstörte das Rollkommando den Projektor, riß den laufenden Film aus dem Gerät und klaute die Abendkasse von 1.500 Mark. Abschließend sprühten die Beteiligten noch den Spruch „Kampf dem Sexismus“ an die Fensterscheiben und verschwanden. Der entstandene Schaden: Mindestens 4.000 Mark. „Das waren fast alles Männer!“ erinnert sich ein Angestellter, „da waren höchstens zwei Frauen dabei!“ „Wenn jemand aus dem Publikum verlangt hätte, den Film abzuschalten, um eine Diskussion über Gewaltpornos zu beginnen, hätten wir das sofort gemacht!“ meint er weiter. Obwohl die bisherigen Vorführungen mit über 150 Gästen ausverkauft waren, entstand nach Filmende nie ein Streitgespräch. „Nach dem Überfall müssen wir uns fragen, was wir überhaupt noch zeigen dürfen, einen Bodyguard können wir uns nicht leisten!“ Als „Fingered“ in diesem Jahr auf der Berlinale gezeigt wurde, kam es dagegen zum Eklat. Mit den Worten: „So einen Film kann man nicht zeigen!“ unterbrach der Festivalleiter die Vorstellung. „Wir wollen den Film nochmal zur Diskussion stellen“, erklärt ein „Eiszeit“– Angestellter, „weil wir gegen Tabuisierung sind. Wir lassen uns nicht vorschreiben, was wir zeigen sollen!“ Das alternative „Eiszeit“–Kino muß wegen des Anschlages möglicherweise seine Pforten schließen, weil die Versicherung für den Schaden nicht aufkommen will und dem selbstverwalteten Betrieb die Police gekündigt hat. „Uns nimmt keine andere Versicherung mehr auf!“ erklärt ein „Eiszeit“–Mitarbeiter. „Die Lage hier in Kreuzberg ist für die zu unsicher.“ Im Januar hatte eine Gruppe von Frauen das Kreuzberger Kino „Sputnik“ überfallen, weil das Lichtspielhaus Sexfilme aus den zwanziger und vierziger gezeigt hatte.
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