"Zeitungszeugen"-Macher beleidigt: Naziblätter zensiert!
Das Nachdruckprojekt "Zeitungszeugen" sieht sich vom Freistaat Bayern fies behandelt und verzichtet erstmal auf NS-Titel.
"Es ist ein Statement", sagt Herausgeber Peter McGee, macht ein betroffenes Gesicht und hebt für die Kameras das dünne Blättchen in die Höhe, wie ein frisch erstandenes Hitlertagebuch. Es ist die dritte Ausgabe seines umstrittenen Projekts Zeitungszeugen, die er am Donnerstagmittag in München vorstellt. "Zensiert" steht oben in roter Schrift auf der Titelseite und darunter: "Das Ende der Demokratie." Es geht um Hitlers Reichsermächtigungsgesetz von 1933.
Es geht aber auch um McGees Kampf gegen die bayerische Regierung. Weil der Brite in seinem Projekt, Zeitungen der NS-Zeit nachzudrucken, vergangene Woche seiner Zeitschrift auch eine Kopie des Völkischen Beobachters beilegte, stellte der Freistaat einen Strafantrag gegen McGee und lies tausende Exemplare beschlagnahmen.
Die neue Ausgabe verzichtet deshalb trotzig auf historische Zeitungsnachdrucke. Enthalten sind allein die wissenschaftlichen Begleittexte, ein Statement von McGee und ein Coupon, mit dem die Käufer die fehlenden Nachdrucke beim Verlag bestellen können. Geliefert wird, so steht da, "sobald der restliche Disput beigelegt wurde". Wann das sein wird, kann McGee nicht sagen. Das Wort "Verfassungsgerecht" fällt häufiger.
"Wer hätte gedacht, dass es 2009 in Deutschland passieren kann, dass deutsche Zeitschriftenhändler Besuch von der Polizei bekommen", kritisiert McGee. "Wir werden zensiert." Mit Zensur hat das Vorgehen der bayerischen Behörden allerdings nur zum Teil zu tun. Es geht auch um die Urheberrechte. Die liegen für den Völkischen Beobachter und alle anderen vom Naziverlag Eher herausgegebenen Publikationen seit Ende des Krieges beim Bundesland Bayern. Um eine offizielle Erlaubnis, die NS-Zeitungen nachzudrucken, hat McGee nie gefragt.
Man habe Bedenken gehabt, die bayerischen Behörden hätten das Projekt verhindert, hätten sie im Vorfeld davon gewusst, räumt McGees Anwalt Ulrich Michel ein. Nach seiner Meinung sind die Nachdrucke legal. Sie seien urheberrechtlich gesehen ein wissenschaftliches Zitat. Dennoch wolle man bis zu einer Gerichtsentscheidung auf Nachdrucke aus dem Eher Verlag verzichten.
Das "Zensiert"-Etikett auf der aktuellen Ausgabe wirkt dagegen ziemlich albern. Eigentlich hätte dem Heft ein garantiert nicht im Naziverlag erschienenes Wahlplakat der Kommunistischen Partei von 1933 beiliegen sollen sowie eine Ausgabe der Frankfurter Zeitung. Die wurde - so steht es im Begleittext - 1943 verboten. Die Berichterstattung war den NS-Machthabern zu kritisch.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Ex-Wirtschaftsweiser Peter Bofinger
„Das deutsche Geschäftsmodell funktioniert nicht mehr“
Studie Paritätischer Wohlfahrtsverband
Wohnst du noch oder verarmst du schon?
Armut in Deutschland
Wohnen wird zum Luxus
Ansage der Außenministerin an Verbündete
Bravo, Baerbock!
Bis 1,30 Euro pro Kilowattstunde
Dunkelflaute lässt Strompreis explodieren
Ex-Mitglied über Strukturen des BSW
„Man hat zu gehorchen“