Zeitung der Zukunft: Ist er wirklich anders?
Franz Beckenbauer könnte schwul sein. Eine Stunde auf dem Sofa mit David Beckham.
Typische Handbewegung: Griff in den Nacken. Immer wieder wandert die linke Hand an den Hals. Wischt er sich Schweiß ab? Nein, David Beckham gerät nicht ins Schwitzen, wenn er ein Interview gibt. Die Hand im Nacken. Immer wieder fährt sie über die Tätowierung, die, zwischen Kragen und Haaransatz gelegen, nicht zu übersehen ist. Will er sie wegwischen? Ist sie ihm peinlich? Wie ein Hooligan sehe er aus, wurde ihm vorgeworfen, als er das erste Mal mit dem geflügelten Kreuz im Nacken auflief. Der Metrosexuelle auf Machotour? "Nein", David Beckham lacht, "sie gehört zu mir." Mehr sagt er nicht zu diesem Thema.
Er trägt in diesen Tagen von London die Trainingskleidung der englischen Nationalmannschaft. Seine Kollegen im Team tragen dasselbe graue Zeug wie der Gast aus den USA. Sie, die bei den großen Klubs der Premier League unter Vertrag stehen, die auch Stars sind, sie sehen aus wie Fußballer. Und Beckham, der ehemals Galaktische von den Los Angeles Galaxy? Ist er anders? Die Fingernägel sind nicht lackiert. Waren sie das je? Lächeln. "Und wenn?", fragt er mit einem Blick auf seine wohl gepflegten Hände. Fußballerhände? Nein, Beckham sieht nicht aus wie ein Fußballer. Er sieht überhaupt nicht aus. Er wirkt. Zu Beginn des Gesprächs fehlt ihm alles Menschliche. Da sitzt er in seinen leicht zerknitterten Sportlerklamotten, und beinahe nichts ist zu lesen aus seinem jugendlich gebliebenen Gesicht, das so arg banal wirkt unter der arg gewöhnlichen Kurzhaarfrisur. Nicht die Werbeikone sitzt da in der Hotellobby und ist als Mensch greifbar geworden. Nein, es sitzt ein Mensch da und wirkt wie eine perfekte 3-D-Animation, einem Werbeplakat entsprungen. So einer kann doch nicht echt sein. Und doch ist er es.
Sich der Wahrheit, zumindest doch der Wirklichkeit, soweit als möglich anzunähern, gilt als Grundsatz des journalistischen Ethos. Nicht nur in Deutschland, auch in den USA haben sich in den vergangenen Jahrzehnten jedoch Journalisten mit dem gegenteiligen Ansatz einen Namen gemacht: mit Fake-Geschichten. Gefälschte Interviews, erfundene Porträts und manipulierte Fotografien - sie zählen mittlerweile beinahe als eigene Gattung zu einer festen Größe in der Medienlandschaft.
Als Grund vermuten Kritiker wie Netzwerk Recherche den steigenden Druck, nicht nur die aktuellsten, sondern auch die exklusivsten Geschichten zu verkaufen. Für zeitintensive, gründliche Recherche gebe es kaum mehr Ressourcen. Verstärkt wird dieser Trend durch das Medium Internet, in dem Autorenschaft sowie Authentizität der Geschichten noch stärker verwässert werden können.
Die spektakulärsten Fälle:
Konrad Kujau: Der Aktionskünstler fälschte 1983 die Tagebücher von Adolf Hitler und verkaufte sie für 9,3 Millionen DM dem Magazin Stern.
Tom Kummer: Der Schweizer Journalist löste im Jahr 2000 einen Medienskandal aus, als bekannt wurde, dass er seine viel gepriesenen Interviews mit Hollywood-Stars für das SZ-Magazin erfunden hatte. Er selbst bezeichnet sich immer noch als "Borderline-Journalist".
Michael Born: Der ausgebildete Schiffsoffizier und laut Wikipedia 1986 zum Islam konvertierte Fernsehjournalist hat eine Vielzahl an inszenierten Dokumentarfilmen in seriösen Medien wie "Süddeutsche TV" und "Stern TV" platziert, etwa über ein angebliches Ku-Klux-Klan-Treffen in der Eifel.
Jayson Blair: Der Reporter der seriösen New York Times hatte mehr als 600 Artikel veröffentlicht, in denen die meisten Interviews und Gesprächspassagen frei erfunden waren. Er flog 2003 auf.
Janet Cook: Der Reporter publizierte 1981 in der Washington Post die herzergreifende Geschichte einer achtjährigen Heroin-Abhängigen und erhielt dafür sogar den Pulitzer-Preis. Als sich herausstellte, dass es sich um ein Fake handelte, musste er den Preis zurückgeben.
Stephen Glass: Der Reporter fälschte mindestens 27 Artikel im renommierten Magazin The New Republic und veröffentlichte 2003 ein Buch über sich und seine Arbeitsweise. Titel: "The Fabulist". SUSANNE LANG
Eine gute Stunde vor dem Treffen läuft er über den Trainingsplatz. Die Qualifikation für die Europameisterschaft, beinahe ist sie schon nicht mehr zu schaffen für das englische Team. Doch einer rennt bei allen Übungen, als wolle er allein dafür sorgen, dass noch gelingt, was in der brutalen Sportpresse der Insel schon längst als unmöglich gilt. Vor einer Stunde wirkte Beckham wie ein Fußballer. Schon als er den Platz in Richtung Kabine verlässt, noch läuft ihm der Schweiß über die Stirn, wirkt er anders als die anderen im Team. Er winkt. Wem? Steht sie da? Seine Victoria? Posh? Nein. Vielleicht wirkt er deshalb so anders als die anderen, weil sie am Rande des Trainingsplatzes stehen könnte. Victoria ist in den Staaten geblieben. Die vierte Schwangerschaft, sagt Beckham, sie mache seiner Frau zu schaffen.
Hat er Humor? David Beckham lacht nicht, er lächelt. Er will bezaubernd sein. "So ist das eben mit Nachbarn. Mit manchen ist man befreundet, mit anderen hat man Ärger." Das neue Haus, das Victoria in Beverly Hills für die Familie ausgesucht hat, wird von Paparazzi belagert, seit die Beckhams eingezogen sind. Einige der Nachbarn haben sich schon beschwert. "Es gehört zu meinen Aufgaben in den USA, immer im Gespräch zu bleiben", sagt er. Und redet, worüber er am liebsten redet. Über Fußball. "Ich habe eine Herausforderung angenommen. Und ich bin stolz darauf, an dem Projekt, den Fußball in den USA voranzubringen, mitwirken zu können. In erster Linie geht es um das Spiel auf dem Platz. Aber auch das Spiel mit den Medien ist nicht unwichtig. Wer über mich schreibt, egal was er schreibt, kommt am Thema Fußball nicht vorbei. Und wenn er nur schreibt, dass ich Fußballspieler bin." Manchmal sagt Beckham "Football", wenn er über seine Sportart spricht. Meistens sagt er "Soccer". Er hat die alte Welt verlassen, um eine neue zu erobern. Fußball hat in den USA einen anderen Namen als in Europa.
Für seinen Wechsel hat er viel Prügel einstecken müssen. Beim königlichen Klub Madrid, dem er in seiner letzten Saison zum Meistertitel in Spanien verholfen hat, tat die Klubführung alles, um ihn kaltzustellen. Sein Trainer wurde angewiesen, Beckham nicht mehr aufzustellen. "Es war eine schlimme Zeit. Ich bin Fußballer und wollte spielen." Beckham ist ernst, als er von der Zeit erzählt, in der er trainiert hat wie ein Besessener und doch wusste, dass er kaum eine Chance haben würde, in die Mannschaft zurückzukehren. Die spanische Presse machte sich lustig über die jungen Spanier in den Reihen Reals, die sich Nacht für Nacht um den Titel des Königs des Madrider Nachtlebens stritten. Der König der Klatschspalten trainierte. Lange nützte all das nichts. Seinen Platz in der Nationalmannschaft, auch den hatte er zwischenzeitlich verloren. Die Teamkollegen haben schließlich derart lauthals protestiert, dass seinem Trainer Fabio Capello nichts anderes übrig blieb, als ihn wieder aufzustellen. Auch Englands Nationaltrainer Steve McLaren meldete sich bald wieder.
"Irgendwann merken alle, dass ich ein Fußballer bin." Beckham lässt seine Karriere kurz Revue passieren. Sechs Meistertitel mit Manchester United, wo er als 17-Jähriger seinen ersten Profivertrag unterschrieb, der Champions-League-Sieg 1999, zuletzt der Meistertitel in Spanien. "Mir kann keiner sagen, ich hätte nichts erreicht." Erreicht haben auch andere viel. Die, die immer Fußballer waren, es immer geblieben sind. So viel verdient wie Beckham hat keiner. Wenn das Geschäft in den USA gut läuft, wenn Galaxy viele Beckham-Trikots verkauft, dann muss ihm der Klub 250 Millionen Dollar in fünf Jahren zahlen. Seine Werbeverträge sollen 40 Millionen Dollar im Jahr bringen. Beckham kommt noch einmal auf sein letztes Jahr bei Real Madrid zurück. "Die anderen haben nächtelang gefeiert, doch die Klatschspalten haben mir gehört. Die anderen hatten Affären, mir wurde beinahe jede Woche eine angedichtet. Dabei war mir nichts wichtiger als die Familie." Mit einem Mal will er nicht mehr nur über Fußball reden.
Beckham, der Windelwechsler, der Musterpapa von Brooklyn, Romeo und Cruz. "Warum sollte ich als Familienmensch anders sein als meine Frau?", fragt er und spricht vom Stress, den er mit seinen Kindern hat. Und davon, dass er Angst hat, man könne ihm diesen Stress ansehen. "Auch deshalb ist es wichtig, sich um den eigenen Körper zu kümmern." Spa, Pealing, Make-up. Beckham will attraktiv sein. Auch weil er Fußballer ist, "einer der besten", wird ihm das nicht übel genommen. Fußballgötter dürfen anders sein. Viele gibt es davon nicht. "Ihr habt Franz Beckenbauer", sagt Beckham, "der wird nie vom Thron gestoßen." Der könnte schwul sein, und bliebe doch der Kaiser.
Die Stunde ist zu Ende. Beckham steht auf. Einige Teamkollegen marschieren durch die Halle. Gott geht auf die Fußballer zu. Ist er wirklich anders?
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!