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Zeitgenössische Musik als Alibi

■ Premiere am Bremer Theater: Alfred Schnittkes „Leben mit einem Idioten“ amGoetheplatz

Riesenbeifall nach der Premiere der vor drei Jahren uraufgeführten Oper „Leben mit einem Idioten“ von Alfred Schnittke am Bremer Goetheplatz-Theater: Nanu? Nichts, was verschreckte und verstörte an diesem neuen Werk? Der Komponist Alfred Schnittke schreibt seit vielen Jahren seine „polystilistische“ Musik, wie er sie selbst nennt. Er hat „nach den unvermeidlichen Mannhaftigkeitsproblemen der seriellen Selbstverleugnung“ nun seine Sprache in der Reprise und Synthese verschiedener Traditionen gefunden. Damit muß er, in einer Zeit, in der ästhetisch landauf landab nicht mehr viel gewagt wird, gut ankommen. Diese Oper, Schnittkes erste, kann kaum ein Beitrag zum Diskurs übers Musiktheater sein, zu dem es in den letzten Jahren auch an großen Staatstheatern doch diskussionswürdige Werke gegeben hat.

Das Libretto nach einer Erzählung von Viktor Jerofejew bietet schon Möglichkeiten zu dramaturgischen „Querständen“, die allerdings in der Musik wenig umgesetzt werden. Jerofejew hat die Methode des Erzählens beibehalten, alle Protagonisten erzählen und spielen gleichzeitig ihre Rollen, kommentiert – durchaus in antikem Sinn – durch die Chöre. Die Musik greift sozusagen zu allem, was es so gibt; sie verwendet Tänze, russische Lieder, zitiert zum Beispiel die Matthäus-Passion und die Internationale. Mein Problem mit dieser Musik ist, daß sie diese Stilanleihen nicht als solche ausweist, sondern sie verschmelzen läßt mit einem expressiven Grundton, der stark an die Musik von Gustav Mahler erinnert. So bleibt ihre Funktion letztendlich eine illustrative.

Die Story: Als Strafe für seine schlechte Arbeit muß der bei Jerofejew als ICH bezeichnete Protagonist sich einen Idioten auswählen. Er findet Wowa, der das Leben des ICH und dessen Frau immer mehr in Beschlag nimmt, dann beide auch vergewaltigt und am Ende die Frau tötet. Der zurückbleibende ICH übernimmt den Wahnsinn.

Einerseits hat Jerofejew das als Allegorie auf das Scheitern des Kommunismus gemeint, andererseits geht es ihm um den Wahnsinn in uns allen: Diesen Aspekt entfaltet die Inszenierung von David Mouchtar-Samorai. Und die kann sich sehen lassen. Stephan Drakulich als nur „Ach, äch, äch“ brüllender, lispelnder, rülpsender Idiot von unbeschreiblicher Präsenz kann sein sing-schauspielerisches Talent hier voll zur Geltung bringen. Mouchtar-Samorai arbeitet auch vor allem die Momente der unfreiwilligen Komik präzise heraus - wenn zum Beispiel die Frau den Idioten so zivilisiert hat, daß „er nicht mehr auf den Boden scheißt“, ist das Anlaß genug für sie, sich in ihn zu verlieben. Die Gratwanderung zwischen realistischem Geschehen und surrealer Groteske leisten auch die beiden anderen Progagonisten, Heikki Kilpeläinen als ICH und Anu Komsi als dessen Ehefrau, vorzüglich. Dies ist umso bemerkenswerter, als die sängerischen Anforderungen immens sind. Das abstrakte Bühnenbild von Heinz Hauser und die einfallsreichen Kostüme von Urte Eicker bilden einen vorzüglichen Rahmen für die ambitionierte Inszenierung.

Sehr gut auch der zwanzigköpfige „Chor“, alles SolistInnen, alles Individuen, die nach und nach vom Wahnsinn ergriffen werden. Istvan Denes hatte das Orchester gut im Griff, Feinheiten gab–s da weiter nicht. Insgesamt eine seriöse Produktion, leider für ein Objekt, das den Anspruch nach zeitgenössischem Musiktheater eher alibihaft erfüllt.

Ute Schalz-Laurenze

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