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Zeitgemäßer Schweinerock

Velveteske Lärmausbrüche erschüttern deutsche Wohnzimmer: Die „WDR1 Rocknacht“ lebt!  ■ Von Thomas Winkler

Peter Rüchel is back. Wer kennt ihn nicht, den notorischen Springsteen- Fanatiker, den Ich-bin-der- Rock'n'Roll-in-der-Glotze. Schweißig muß er sein und authentisch der Rock'n'Roll, lange Haare muß er zwar nicht mehr haben, aber mindestens so klingen. Rüchel hat die altehrwürdige Institution „Rockpalast“ in den künstlerischen Ruin gewirtschaftet, bis der einging. Er hatte nach einem kurzen Hoch 1983, als in der Rocknacht Joe Jackson, Dexys Midnight Runners und King Sunny Ade spielten, wieder nur auf die alten Pferde gesetzt und vor allem seinen Kindheitstraum gepflegt, einmal Bruce Springsteen abfilmen zu dürfen. Statt dessen bekam er als Ersatz den Gitarristen der E-Street-Band Steve van Zandt, der fast noch langweiliger als Springsteen selbst war.

Nun startet Freund Rüchel den Versuch, ein neuerliches Bein auf den Boden der TV-Live-Rock-Unterhaltung zu bekommen. Dazu benutzt er die jetzt schon siebte „WDR1 Rocknacht“, ein Ereignis, das bisher nur den Radiohörern vorbehalten war und zudem ein völlig anderes Konzept als der verblichene „Rockpalast“ vorzuweisen hat, auch wenn mit Alan Bangs der Moderator derselbe wie damals ist. Das geht von der Auswahl der Bands bis zur medialen Umsetzung.

Waren die „Rockpalast“-Nächte ein richtig schönes Live-Konzert, drei mehr oder öfter weniger gute Bands, Kamera drauf, in den Umbaupausen ein Interview, hinterher jammen dann alle miteinander (das wurde zumindest penetrant versprochen), und fertig ist die Laube. Bei der „WDR1 Rocknacht“ spielen die Bands alle nicht länger als 40 Minuten, dazwischen dann Interviews. Das allein dürfte die Sache schon kurzweiliger machen. Zudem sind die ausgesuchten Bands einigermaßen auf der Höhe der Zeit. Headliner sind The Mission und Die Einstürzenden Neubauten, also Stoff der zwar allgemein anerkannt und gut abgehangen ist, im Fall der Neubauten sogar schon den Sprung ins gutbürgerliche Feuilleton geschafft hat, aber immer noch zu gut für die Charts ist. The Mission sind eine Splittergruppe und ausgedünnte Version der Düster-Kult-Rocker Sisters Of Mercy. Die Konzerte dieser beiden Bands werden auch im Fernsehen auf WEST3 live zu sehen sein, der restliche Ablauf in der Glotze ist noch nicht klar. Voraussichtlich werden die Interviews von Moderator Alan Bangs auch im TV übernommen und Ausschnitte der Gigs der anderen Kapellen eingespielt.

Die interessanteren Bands des Abends sind — wie sollte es anders sein — die unbekannteren. Bullett Lavolta aus Boston sind vielleicht eine der intelligentesten Punk-Bands von den wenigen, die noch übrig geblieben sind. Immer noch meilenweit vom Heavy-Metal-geprägten Hardcore entfernt, spielen sie das immergleiche harte, schnelle Ding und die Massen dürfen Pogo tanzen.

James wurden vor einigen Jahren von 'Spex‘ zur neuen Hoffnung des britischen Pops erkoren, schafften es dann aber nur in die untere Mittelklasse und überließen den Smiths unangefochtenen den Thron im englischen Schrammel-Pop. Hugo Race war Mitspieler bei diversen Projekten von Nick Cave und damit ist eigentlich schon alles über ihn gesagt. Dread Zeppelin spielen, wie der Name schon nahelegt, ausschließlich Reggae-Versionen von Led Zeppelin-Songs. Und die Bad Little Dynamos aus Köln versuchen, zeitgemäßen Schweinerock zu machen.

Im großen und ganzen ist der Titel „Rocknacht“ also durchaus zutreffend, sieht man mal von den Neubauten und meinen persönlichen Favoriten Galaxie 500 ab. Galaxie 500 sind ein Trio, dem die Kritiker gerne das Etikett Velvet Underground-Epigonen anhängen. Ganz so einfach ist das natürlich nicht. Galaxie 500 sind vor allem sehr ruhig, ruhig bis zur Lethargie, solange bis der Schädel sich genauso wie die Kreisel-Riffs dreht. Die velvetesken Lärmausbrüche sind bei ihnen eher dünn gesät, da legen sie mehr Wert auf den Groove, der allerdings keiner zum tanzen, sondern einer zum Körper-vergessen und Schwereloswerden ist.

Die siebte „WDR1 Rocknacht“ wird heute im Radio auf WDR 1 live von 20.00 bis 2.00 Uhr übertragen. Das Fernsehen WEST3 überträgt von 20.45 bis 22.15, hier wird der Auftritt von The Mission live übertragen, und von 23.30 bis 2.00 Uhr, wenn die Neubauten direkt in deutsche Wohnzimmer kloppen.

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