KOMMENTAR: Zeitbombe Morsleben
■ Das Endlager in der früheren DDR ist nicht Teil der Lösung, sondern Teil des Problems
Not macht erfinderisch, aber nicht unbedingt klug. Seit Monaten wird das nukleare Endlager Morsleben von westdeutschen Atomikern als unverhoffter Notausgang für die unendliche Atommüllmisere gehandelt. Heute steht fest, daß das Salzbergwerk knapp jenseits der ehemaligen deutsch-deutschen Grenze nicht nur westliche Sicherheitsstandards für atomare Endlager unterläuft. Es ist viel schlimmer: Was im Westen die Debatte um die Endlagerung im Kern bestimmt — nämlich die Frage, ob und wie Radioaktivität überhaupt einige zehntausend Jahre von der Biosphäre ferngehalten werden kann —, ist in Morsleben längst beantwortet. Zum „Verwahrkonzept“ der Anlage gehört die Flutung der Schächte, nachdem die letzte Ladung Strahlenmüll abgekippt sein wird. Flutung bedeutet unweigerlich die Rückkehr eines Teils der strahlenden Hinterlassenschaft einer verfehlten Energiepolitik an die Oberfläche. Und zwar eher früher als später.
Diejenigen, die angesichts dieser Situation hoffnungsfroh auf das „weltweit einzige genehmigte nukleare Endlager“ schauen, unterliegen einem verheerenden Denkfehler: Morsleben ist nicht Teil der Lösung, sondern Teil des Problems. Die Diskussion darf sich nicht länger darum drehen, ob und welcher Atommüll dort eingelagert werden darf. Die eigentliche Frage lautet, ob und wie der realsozialistischen „Nach-mir-die-Sintflut“-Philosophie noch im Nachhinein gegengesteuert werden kann. Die Phantasie der Endlager-Technologen ist in der Tat gefragt. Sie müssen Konzepte entwickeln, wie zigtausend Tonnen strahlender Müll aus einem halb abgesoffenen Bergwerk geborgen und sicher an einen anderen Ort gebracht werden können. Oder sie müssen das Lager technisch „absichern“, wie immer das gehen mag.
Der westdeutsche Atommüllberg wird in absehbarer Zeit nicht abgetragen, sondern im Gegenteil noch schneller wachsen als bisher befürchtet. Denn selbst wenn der jetzt eingelagerte Müll unter der Erde bleiben kann, müssen die Schrottreaktoren in Greifswald und Rheinsberg auch künftig weiter entsorgt werden. Morsleben steht dafür nicht zur Verfügung. Dort tickt die Zeitbombe. Mit der Übernahme der SED-Altlast Morsleben hat sich die deutsche Entsorgungskrise entscheidend verschärft. Gerd Rosenkranz
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