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Archiv-Artikel

Zeit für „echte Reformen“

betr.: „‚Ich bin gegen das Mehrwertsteuer-Chaos‘, sagt Andreas Thiel, „Konjunktureinbruch. Gute Gründe für schlechte Laune“, von Reiner Metzger, taz vom 16. 2. 05

Endlich bringt einer Musik in die Mehrwertsteuerdebatte und übertönt die alte Leier mit den zwei Miss-Wirtschafts-Tönen „für“ oder „wider“ Erhöhung. Bei der notwendigen Neukomposition müsste aber mehr mitspielen, als das im Interview Gesagte. Warum nicht das ganze Verbrauchsteuerchaos mit in Angriff nehmen, es nach moralischen Gesichtspunkten neu sortieren und auch Tabak- und Brandwein-, Benzin- und Ökosteuer darin einbeziehen? Höchststeuersatz 30 bis 50 Prozent für Tabak, Schnaps und dann in zwei oder drei Stufen herunter bis auf null für dringend zu Förderndes. Die Einnahmen könnten insgesamt höher liegen, wenn dafür Renten- und Krankenkassenbeiträge oder auch Lohnsteuer gesenkt werden könnten. Die psychologisch ungünstige „Ökosteuer“ würde so zum „Ökobonus“ und Westerwelles „Rasen für die Rente“-Polemik zum Stimmungsschlager grüner Umsteuerprogrammatik. Auf einen Bierdeckel würde so ein Konzept vielleicht nicht passen, dafür aber den notwendigen Diskurs über das Was und Wie von Produktion und Aneignen demokratisieren.

HANS-HERMANN HIRSCHELMANN, Berlin

Also rauf mit der Mehrwertsteuer für Lebensmittel und runter mit der Mehrwertsteuer für das Essen im Restaurant. Bedeutet Mehrbelastung für Sozialleistungsempfänger und geringe bis mittlere Einkommen. Gut – dafür Erhöhung der Sozialleistungen. Wer von dieser Bevölkerungsschicht kann es sich aber leisten, essen zu gehen? Das heißt, die Zeche zahlt der nicht subventionierte Klein- bis Mittelverdiener, damit dann die einfache Dienstleistung (so nennt er Kuchen und Speisen) für den, der es ich leisten kann, billiger wird. Völlig abenteuerlich, dass dadurch auch noch mögliche Arbeitsplätze vernichtet werden, wahrscheinlich weil dann alle, die es sich heute schon nicht mehr leisten können, vor Cafés und Restaurants Schlange stehen.

Und da Herrn Thiel die Mehrwertsteuer noch nicht chaotisch genug ist, plädiert er gleichzeitig noch für eine Börsenumsatzsteuer, die auch noch das spekulative Börsengeschehen beruhigen soll. Glücklicherweise kann sich Herr Thiel Urlaub zur Erforschung der Mehrwertsteuer leisten. Die oben angesprochene Masse kann dieses nämlich nicht mehr. HANS JÜRGEN VIETZ, Goslar

Reiner Metzger schlägt Mehrwertsteuererhöhung vor, um den Konsum anzukurbeln und Unternehmer zu belasten. Leider weiß er nicht, das Mehrwertsteuer nicht von den Unternehmen, sondern ausschließlich von den Verbrauchern gezahlt wird. Deshalb werden Mehrwertsteuererhöhungen traditionell von der SPD eher abgelehnt, während in der CDU-Periode dreimal erhöht wurde.

Andreas Thiel, der sich wenigstens nur als Hobby-Mehrwertsteuer-Experte ausgibt, versteht weder den Sinn dieser Steuer (bei Miete oder Arztbesuch entsteht kein Mehrwert), noch den Sinn der Differenzierung. Nahrungsmittel werden geringer besteuert, um das Grundbedürfnis Ernährung nicht so stark zu belasten. Als Landwirt erhebe ich übrigens 9 Prozent Mehrwertsteuer auf meine Produkte, weil ich pauschaliere, also weder die eingenommene Steuer abführe, noch die gezahlte (16 Prozent zum Beispiel auf Maschinen) erstattet bekomme. Das stellt eine enorme Vereinfachung für Landwirt und Finanzamt dar, auch wenn die Experten das nicht verstehen.

MARKUS HECK, Malow

Um die Binnennachfrage in Schwung zu bringen, hilft es nichts, wie Reiner Metzger fordert, die Mehrwert- und die Ökosteuer zu erhöhen. Im Gegenteil, denn die treffen gerade die Niedrigverdiener besonders stark. An „echten Reformen“ fallen mir spontan folgende Maßnahmen ein: Rücknahme der Senkung des Spitzensteuersatzes (denn die stimuliert den Konsum erfahrungsgemäß gerade nicht), Erhöhung des ALG II um rund 20 Prozent (denn um diese 20 Prozent, so der Paritätische Wohlfahrtsverband, liegt das derzeitige ALG II unter dem soziokulturellen Existenzminimum), eine stetige, an der Produktivität orientierte Erhöhung der Lohneinkommen und, da hat der Autor völlig Recht, das Schließen wenigstens der absurdesten Steuerschlupflöcher. Die Liste ließe sich beliebig verlängern. Dass der grassierende „moderne“ Reformismus der Schröders und der Clements der Misere nicht abhilft, sondern sie verschärft, bedarf ja wohl keines Beweises mehr. FRANZ WÖSTE, Celle

Der Autor hat ja schon recht, wenn er meint, dass der mangelnde Konsum am nicht vorhandenen Geld liegt. Und es ist auch richtig, dass der Staat irgendwie mehr Geld braucht (um Schulden zurückzuzahlen etc.). Aber gerade die Verbrauchssteuern treffen die Verbraucher und nicht die Wirtschaft, was genau den gegenteiligen Effekt hätte. Besser ist dabei schon, die Steuern endlich wieder bei den Nicht-Arbeitseinkommen zu erheben (also Einkommen auf Kapitaleinkünfte) und dies in einer Weise, die eine unkontrollierte Kapitalakkumulation begrenzt. Eine andere Möglichkeit wäre auch eine effektivere Erbschaftssteuer. FRANK ECKARDT, Berlin

betr.: „Konjunktur in Deutschland überrascht negativ“, taz vom 16. 2. 05

Überraschender als die neuesten Konjunkturzahlen ist die Tatsache, dass die Politik offenbar nicht in der Lage ist, eine einfache kausale Kette zu durchschauen und die logischen Schlüsse daraus zu ziehen: 1. Die Bekämpfung der Arbeitslosigkeit wird in der Bevölkerung als dringlichste Aufgabe der Politik angesehen. 2. Das wichtigste und wirksamste Steuerungsinstrument der Politik ist die Steuergesetzgebung. 3. Die Hauptaufgabe der Unternehmen ist es, möglichst viel Gewinn (und Umsatz) zu produzieren. Daraus folgt: Der bisherige Weg, den Unternehmen die Produktionsbedingungen möglichst zu erleichtern, führt logischerweise zu Rekordgewinnen bei gleichzeitigem Arbeitsplatzabbau. Wirksam gegen Arbeitslosigkeit kann nur eine Gewinn- und Umsatzbesteuerung sein, deren Höhe direkt von der Anzahl der Beschäftigten und deren Lohnniveau abhängig ist. Wer für eine Milliarde Euro Umsatz mehr Menschen gut bezahlt, soll auch weniger Steuern dafür bezahlen müssen als die Konkurrenz.

WOLFGANG POKORSKI, Essen

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